Die wichtigsten Parteien
- Die absolutistische Zentralgewalt. Sie hatte bereits Anfang des 16. Jahrhunderts die adligen Lokalpotentaten der mittelalterlichen Feudalgesellschaft weitgehend entmachtet und zwang sie, sich ihrer übergeordneten Zentralgewalt zu unterwerfen, nahm ihnen die Rechtsprechung (teilweise), die Steuergesetzgebung und die Militärhoheit ab. Die Papstkirche wurde in Abhängigkeit gebracht, und um seine Herrschaft zu organisieren, zog der Absolutismus geeignete bürgerliche Fachleute an den Hof, aus dem sich der sogenannte Amtsadel (Noblesse de robe) entwickelte, aus deren Mitte wiederum die Philosophie der Aufklärung viele ihre Anhänger rekrutierte.
- Die katholische Kirche, die im Feudalismus als einzige überregionale Organisation ein europaweites Informationsmonopol besaß, das ihr eine enorme Macht verlieh, sogar die, einzelne Feudalherren in den Untergang zu treiben. Vor allem aber sicherte sie die Adelsherrschaft gegenüber dem Volk ab, tat im Absolutismus zwar dasselbe, musste sich aber mehr oder weniger den Interessen der absolutistischen Zentralgewalt fügen, sogar auch dann, wenn es gegen ihre Erzfeinde, die Anhänger der Aufklärung ging.
- Das Bürgertum, teils in eigenem Interesse als Kaufleute, Handwerker, Manufakturbetreiber, oder als Finanzspezialisten tätig, teils aber als Bürger mit Adelstitel (Nobellese de robe) als die wirklichen Organisatoren der Verwaltung im Interesse des Absolutismus.
- Die ehemaligen Machthaber aus dem Feudaladel, jetzt oft verarmte Landadlige, aber mit Wurzeln in der Landbevölkerung, die sie bei Bedarf durchaus mobilisieren konnten. Sie versuchten, ihre Nachkommen und Parteigänger in der absolutistischen Verwaltung, in der Kirche, vor allem aber in den wichtigen Parlamenten, den Gerichtshöfen, unterzubringen und dadurch an Einfluss zu gewinnen und waren an allem interessiert und beteiligt, was die Monarchie schwächte.
- Die Jesuiten als papsttreuer Orden in der katholischen Kirche, der den Absolutismus als eigene Machtbasis schätzte und über seine Beichtväter beim König einflussreich war. Die Jesuiten waren im Machtapparat selbst die eigentlichen Gegenspieler des Bürgertums, durch die Kontrolle und zum Vorteil des Hofes nicht stark genug, um jenes zu besiegen, so dass diese beiden, in zweiter Reihe stehenden Kräfte gegeneinander ausgespielt werden konnten.
- Die Jansenisten, eine dem Pietismus ähnliche Strömung in der katholischen Kirche, für die der Mensch seit dem Sündenfall im Paradies verderbt war, sein Leben vorherbestimmt ohne einen freien Willen, jedoch zu Ordnung und Enthaltsamkeit verpflichtet – eigentlich eine bürgerliche Bewegung, waren sie durch die Gegnerschaft der Jesuiten auf die Unterstützung von außerhalb der Kirche agierenden Kräften angewiesen, die sie meist in den Kreisen des Feudaladels fanden.
- Die Protestanten (Hugenotten) die sich wie die europäischen antikatholischen Strömungen Calvins und Luthers aus dem Bürgertum entwickelt hatten und, vor allem an der Peripherie mit dem Feudaladel verbündet, zu einer Gefahr für die Monarchie wurden. Als aber ihre Anführer geschlagen waren (dafür mag stellvertretend der Untergang in La Rochelle 1628 stehen), standen sie, die hugenottischen Handwerker, Kleinkaufleute, Intellektuellen, alleine da und wanderten in Scharen aus. Eine zweite Auswanderungswelle ereignete sich noch unter Ludwig XIV., nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes im Jahr 1685. Danach konnten sie keine eigene Dynamik mehr entfalten, fungierten stattdessen als bevorzugte Objekte des erzkatholischen Hasses.
Ein Kräftespiel auf Leben und Tod
Als gegen Ende des 17. Jahrhunderts Ludwig XIV. unter dem Einfluss der Mme de Maintenon und seines jesuitischen Beichtvaters zum Frömmler wurde, war es zu einem Machtzuwachs des Klerus gekommen. Die Kirche nutzte diesen sofort aus und machte sich an die Verfolgung der übrig gebliebenen Hugenotten, der Jansenisten und des fortschrittlichen, der Aufklärung verbundenen Bürgertums.
Insbesondere die Protestanten waren ihre bevorzugten Opfer, stellten sie doch die Autorität der Kirche bereits durch ihre bloße Existenz in Frage und hatten keine Machtbasis. Gerade diese Schwäche machte sie zu den idealen Zielobjekten klerikaler Folterknechte; an Ihnen konnte man durch abschreckende Grausamkeit Exempel zelebrieren, ohne Gegenwehr zu befürchten. Seit der Révocation, der Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes im Jahr 1685, durch Verfolgung und Konvertierungsdruck, waren die Protestanten stark dezimiert, waren von über 1 Mio. auf 200 Tsd. Mitglieder zurückgegangen.
Unter Louis XV erlebte die absolutistische Monarchie durch Misserfolge in den kriegerischen Konflikten mit England (Verlust der Kolonialreiche in Nordamerika und Indien), durch ihre anhaltende Verschwendungslust und ausuferndes Spekulantentum eine Krise, die zu großer Unzufriedenheit im Volk führte, vor allem bei den bürgerlichen Amtsträgern, Handwerkern, Händlern und Manufakturbesitzern. Viele von ihnen hatten sich innerlich von der Monarchie entfernt, glaubten nicht mehr an das gottgesandte Königtum und nicht an die Prädestinationslehre. Für sie musste die Staatsführung durch Ergebnisse überzeugen, die zu ihren Interessen passten – oder sie verlor ihre Unterstützung.
Der gegen das Königshaus agierende Feudaladel hatte in der innerkirchlichen, gegen die Jesuiten eingestellten Opposition der Jansenisten neue Parteigänger gefunden, mit denen er in den sogenannten Parlamenten, den Gerichtshöfen Frankreichs, die antimonarchische Stimmung anheizte. Das war der Grund, warum die Jesuiten durch die päpstliche Bulle Unigenitus 1713 die Jansenisten als Häretiker verurteilen ließen und eine neue Runde in dem Machtkampf Krone – Feudaladel eröffneten.
Voltaire berichtet in seiner Histoire du Parlement de Paris ausführlich über den Konflikt zwischen der königlichen Zentralgewalt und den Parlamenten: sobald die jesuitisch geführte, königstreue Kirche gegen die Jansenisten vorging, schlugen die Parlamente Alarm, und zwar unter zunehmender Sympathie des Volkes. Sobald die Parlamente einen Erlass gegen die Interessen des Klerus verabschiedeten, gab es entschiedene Gegenwehr der Jesuiten, die versuchten, den König auf ihre Seite ziehen – und scheinbar damit Erfolg hatten.
Voltaire begriff, was auf dem Spiel stand, wenn man die Kirche hier gewähren ließ. Was seit Henry IV Bestand hatte, die Unterordnung des Klerus unter die Zentralmacht, ihre kulturelle Eindämmung, drohte sich umzukehren; mit ganzer Kraft engagierte er sich im Fall Jean Calas gegen das Wiedererstarken der Inquisition.
Außerdem konnte es zu einer vielleicht noch gefährlicheren Gegenreaktion kommen, so dass es die Kräfte rund um den Feudaladel, die in den Parlamenten saßen, im Verbund mit den Jansenisten wieder an die Macht geschafft hätten – in beiden Fällen drohte alles, was die Aufklärung bisher erreicht hatte, unterzugehen.
Die Aufklärung in höchster Gefahr
Voltaire also erkannte diese Gefahr und versuchte, die Kirche durch koordinierte Gegenwehr auf ihren Platz zurückzudrängen, und gleichzeitig der feudalen/jansenistischen Gegenreaktion den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine Herkulesaufgabe, selbst wenn man berücksichtigt, dass er inzwischen ein funktionierendes Netzwerk von Anhängern und Unterstützern, z.B. in den Freimaurerlogen, aufgebaut hatte.
Das selbstherrliche Handeln des Klerus kam ihm möglicherweise zu Hilfe, denn es führte zum Verbot des Jesuitenordens in Frankreich (1764), Portugal (1759) und Spanien (1767). Nachdem im Jahr 1713 die Bulle Unigenitus die Jansenisten als Häretiker verdammt hatte, wollten ihnen die Jesuiten die katholischen Sterbesakramente verweigern. Dagegen wendete sich energisch und erstaunlich selbstbewusst das Parlament (immerhin das höchste Gericht) von Paris. Durch die Auflösung und Verhaftung der Richter zeigte ihnen das Königshaus zwar ihre Grenzen auf, doch die Gegenseite war bereits zu stark geworden: die Auflösung des Parlaments und die Verhaftungen mussten zurückgenommen und das Parlament wieder in seine Rechte eingesetzt werden; stattdessen wurde nun der Jesuitenorden (1764) verboten, das labile Gleichgewicht drohte zugunsten des alten, reaktionären Feudaladels zu kippen.
Terrorprozess gegen den Chevalier de la Barre und Voltaires Gegenwehr
Noch von der inquisitorisch auftrumpfenden Staatskirche 1763 eröffnet, wurde der Prozess gegen den Chevalier de la Barre vom zurückgerufenen Parlament mit keinem anderen Ergebnis beendet: Zunge herausschneiden, Scheiterhaufen, das Dictionnaire philosophique portatif von Voltaire gleich mitverdammt und mitverbrannt. An diesem Prozess lässt sich ablesen, wie einig sich Kirche und Parlament waren, sobald es gegen Religionskritiker und die Aufklärung ging und was drohte, wenn man nur einer Seite freie Hand ließ.
Vor diesem Hintergrund führte Voltaire seinen am Ende erfolgreichen Kampf gegen die niederträchtige Kirche und die Offenbarungsreligionen selbst, den er mit seinem Engagement für die Familie Calas, dem Traité sur la Tolérance (1762), seiner zentralen antireligiösen Kampfschrift, dem Philosophische Taschenwörterbuch (1764), eröffnet hatte. Weitere Schriften folgten nach. Er war sich der Tatsache bewusst, dass ein langer Weg zu beschreiten war, um seinen Schlachtruf „Ecrasez l’Infâme“ zum Ziel zu führen.
Das und nichts anderes ist das Geheimnis von Voltaires antiklerikalen und antichristlichen Kampagnen in den letzten Jahren seines Lebens. Die Französische Revolution hatte bereits 1766 begonnen.