Priskil, Peter: „Zwölf Humanisten“, Der verdrängte Humanismus, II. Band, Freiburg: Ahriman, 2022, 616 S.; bereits 2019 erschien der 1. Band „Der verdrängte Humanismus“, 224 S.
Rezension von Rainer Neuhaus

Nach seiner Vorstellung der Karmaten als eine der ersten Gesellschaften, die ohne religiöse Bevormundung auskam (Die Karmaten, siehe die hier veröffentlichte Rezension), arbeitet der Historiker und Publizist Peter Priskil in seinem zweibändigen Werk in gewissermaßen archäologischer Feinarbeit heraus, welche Bedeutung der Humanismus und die in seinem Namen handelnden Personen für das Niederringen der christlichen Bevormundung in Europa und damit für die Aufklärung hatte. „Archäologische Feinarbeit“ ist das vor allem deshalb, weil die Suchgrabungen durch einen ungeheuren Wust von Schutt und Müll vorangetrieben werden müssen, der über die letzten Jahre leider nicht geringer wurde, sondern an Umfang und absichtlich gelegten falschen Fährten immer weiter zunahm.

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Aufstieg und Untergang der Vernunft: Hoevels, Fritz Erik, Wie unrecht hatte Marx wirklich? Bd. II, Lüge und Gewalt, Freiburg: Ahriman, 2023, 806 S., Rezension von Rainer Neuhaus

Wenn wir mit dieser Buchempfehlung eine Ausnahme von unserem Prinzip machen, nur Werke zu besprechen, die sich direkt auf Voltaire und die Aufklärung beziehen, so liegt dies an der besonderen Bedeutung dieses Buches für alle, die der Aufklärung nahe stehen.
Hoevels verlässt mit diesem zweiten seines auf drei Bände konzipierten Hauptwerkes die engere ökonomische Marxismustheorie und weitet den Horizont hin zu einer welthistorischen Analyse der Ideologieproduktion, in marxistischer Diktion also des gesellschaftlichen Überbaus.

Vergleicht man das Werk mit dem Essay sur les Moeurs et l‘Esprit des Nations von Voltaire, in dem er dem Einfluss von Religion und Kirche auf unsere Kultur nachgeht, verfolgt Hoevels ein ähnliches Ziel, insbesondere aber das eine, Übersicht zu gewinnen und zu vermitteln über die Funktionsgrundlagen der europäischen Kultur. Und wie schon Voltaire, bezieht er die außereuropäische Kulturgeschichte ein, setzt sie in Bezug zu unserer europäischen, um diese besser verstehen zu können. Denn es ist der Vergleich, der allem wissenschaftlichen Denken den Weg weist.

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Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (7): Der Patriarch von Ferney 1759-1766 und Voltaires Tod (8) am 30.5.1778

Es gibt 26 Voltaire-Biographien in deutscher Sprache, die meisten erzählen die Ereignisse seines Lebens, einige integrieren die Geschichte seines schriftstellerischen Schaffens – die bisher gelungenste, die von Theodore Besterman (1969), findet das Wohlwollen von Reinhardt nicht, weil sie zu sehr auf Seite Voltaires steht.
Wie dem auch sei, eine zusätzliche Voltaire-Biographie sollte, da sein Leben genau in den Zeitabschnitt fällt, der das Ende der jahrhundertelangen Adelsherrschaft durch die Französische Revolution vorbereitet, diese Ereignisse systematisch einbinden, oder sie wird zwangsläufig epigonal. Epigonal ist der Begriff, der am ehesten auf Reinhardts Arbeit zutrifft. In weiten Teilen ist sie nur eine gekürzte Wiedergabe der nicht auf Deutsch erschienenen Voltaire-Biographie von Réné Pomeau, erweitert um ausufernde Inhaltsangaben vieler einzelner Werke.


Wie soll man Voltaires zentrale Forderungen verstehen: Wissenschaftlichkeit statt Glauben, Beobachten statt Autoritätsbeweis, Anerkennung durch Verdienst anstelle von Herkunft, sowie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, wenn man ihn nicht als den Vertreter der aufstrebenden, jedoch vom Absolutismus noch abhängigen bürgerlichen Klasse begreift? Wie seinen Kampf gegen die katholische Kirche einordnen, wenn man diese nicht als Stütze der absolutistischen Aristokratie auffasst, zwar ebenfalls abhängig vom Königshaus, aber als eigenständige Kraft mit gehässig-tödlicher Eigendynamik handelnd? Die Kräfteverhältnisse sind gewiss nicht immer einfach zu verstehen; Jansenismus, Hugenotten, Feudaladel kommen mit ihren eigenen Interessen und Kämpfen hinzu. Das alles zu integrieren, ist möglicherweise eine Aufgabe, die ein Einzelner kaum bewältigen kann. Reinhardt wäre es zuzutrauen gewesen, sein Schaffenshorizont ist, wie seine Publikationen zeigen, weit genug. Aus irgendeinem Grunde verfasste er stattdessen ein Kompendium der Inhaltsangaben von zahlreichen Werken Voltaires, ergänzt durch biographische Informationen und einigen wenigen, isoliert dastehenden kulturhistorischen Erläuterungen.

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Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (6): Zwischenspiel im Elsass und in Genf 1753-1758

In dem Kapitel zu Voltaires Aufenthalten in Colmar, am Genfer See und in Genf selbst überspringt Reinhardt die Ereignisse dort, um mehr Raum für die Beschäftigung mit dem Erdbeben von Lissabon zu bekommen. Seine Biographie verlagert sich dadurch zunehmend weg von den gesellschaftspolitischen Hintergründen hin zur Werkpräsentation und -analyse, was sich schon in den Kapiteln davor andeutete.
Der Abschnitt über Voltaires Gedicht über das Erdbeben von Lissabon (S.371-382), in dem am 23.11.1755 zehntausende Menschen umkamen, kann als zentrales Kapitel der Biographie angesehen werden. Es enthält eine bemerkenswerte Analyse des Autors, die zeigt, von welch entscheidender Auswirkung die Katastrophe auf Voltaires Denken war.

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Haupt, Klaus-Werner, Francesco Algarotti, Gelehrter, Connaisseur, Poet, Weimar: Bertuch 2021, 101 S.

Francesco Algarotti (1712-1764) war eine der zentralen Persönlichkeiten der europäischen Aufklärung. Als Sohn des vermögenden venezianischen Kaufmanns Rocco Algarotti war er unabhängig in finanzieller und geistiger Hinsicht. Er liebte seine Freiheit. Auf seinen ausgedehnten Reisen durch ganz Europa suchte er den Kontakt zu den wichtigsten Vertretern der Aufklärung und lebte einige Zeit am Hofe Friedrich II., wo er u.a. mit Voltaire zusammentraf. Sein Leben und sein Wirken sind heute leider fast vergessen.
Das kleine, sich an ein breiteres Publikum richtetende Büchlein von Klaus-Werner Haupt hätte daran etwas ändern können.
Um es vorweg zu sagen, der Autor hat diese Chance verpasst. Weder gelingt es ihm, Algarotti als Protagonisten der Aufklärung vorzustellen, noch entwickelt er auch nur ansatzweise Verständnis für die (auch für uns ausgefochtenen) Kämpfe der damaligen Zeit. Stattdessen verbreitet er Informationen über die bildende Kunst des 18. Jahrhunderts und den damaligen Kunsthandel, die zwar nicht uninteressant sind, aber nicht zum dem führen, wofür Algarotti steht: die Popularisierung der Lehren Issac Newtons. Worin die Sprengkraft Newtons bestand und weshalb die Schrift Algarottis Il Newtonianisme per le dame (1732) frz.: Le Newtonianisme pour les dames, ou Entretiens sur la lumière, sur les couleurs, et sur l’attraction (1738), dt. Newtons Weltwissenschaft für das Frauenzimmer oder Unterredungen über das Licht, die Farben und die anziehende Kraft (1745) für die Befreiung von der klerikalen Bevormundung von so großer Bedeutung war und ist, entgeht ihm vollkommen. Als Beleg sei diese peinliche Stelle aus dem Büchlein zitiert: „Der mit dem Tod des englischen Naturforschers einsetzende Marketingfeldzug machte vor dem Kontinent nicht Halt“ (S.12).
Auch von den anderen Schriften Algarottis erfährt man, außer dass sie geschrieben wurden, herzlich wenig. K.W. Haupt hätte ein anderes Buch schreiben sollen: über den Kunsthandel im 18. Jahrhundert und seine Protagonisten, zu denen Algarotti auch gehörte.

Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (5.3): Am Hof des Kriegerkönigs

Eine der verwickeltsten Affären in Voltaires Berliner Zeit war sicherlich die Auseinandersetzung mit Maupertuis, einem bedeutenden Naturwissenschaftler, den Friedrich II zu seinem mit nahezu unbeschränkten Befugnissen ausgestatteten Präsidenten der preußische Akademie der Wissenschaften berufen hatte. Diese Geschichte kann nicht verstehen, wer die Person Maupertuis‘ und die Gepflogenheiten nicht kennt, die dieser, leider dem Alkohol anheimgefallene Despot an den Tag legte. René Pomeau entwickelt diese Dinge in seiner Biographie mustergültig, nicht jedoch Reinhardt, dem irgendwie der Platz dafür auszugehen scheint. Weil er aber die Vorgeschichte nicht bringt, hängt bei ihm Voltaires Verdacht, dass eine Intrige gegen ihn im Gang sei, in der Luft und erscheint dem Leser als Ausdruck einer charakterlichen Schwäche Voltaires. Es ist hier, wie überall: wer die Fakten einer Auseinandersetzung nicht bringt, kann die Handlungen jedes noch so berechtigten Verteidigers stets in ein schlechtes Licht rücken. Reinhardt benutzt Voltaires Auseinandersetzung mit Maupertuis, um jenem ein ehrenhaftes Verhalten ganz und gar abzusprechen. Die Kampfschrift Voltaires, Akakia, mit der er dem schwächeren Part, eben Samuel König, den Rücken stärkte, bewertet Reinhardt als „bösartige Satire“, als „maliziöse Zusammenstellung“, als „systematische Rufvernichtung“ (325 f), während sie Théodore Besterman als Voltaires „geistreichste und beißendste“ Satire bezeichnet.

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Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (5.2): Am Hof des Kriegerkönigs

Völliges Unverständnis zeigt Reinhardt, wenn es um die Frage geht, warum Voltaire, obwohl er um die Risiken wußte, 1750 trotzdem nach Potsdam/Berlin übersiedelte. Reinhardt unterschätzt die Bedeutung, die für Voltaire Bündnisgenossen im Kampf gegen die Kirche hatten und zweitens nimmt er die intellektuelle Beziehung zwischen Friedrich und Voltaire nicht ernst, reduziert sie von Seiten Friedrichs auf das Interesse nach Zerstreuung, die ihn Voltaire als Hofnarren nach Berlin kommen ließ. Das ist nicht falsch, aber nur die eine Seite der Medaille, die Briefe Friedrichs sprechen eine völlig andere Sprache und zeugen von einem ernsthaften geistigen Interesse am Dialog mit Voltaire.
Was Voltaire betrifft, so bot das Leben an der Seite eines der mächtigsten Herrscher, der zudem Freimaurer war, den großen Reiz, tiefe Einblicke in das Funktionieren der Macht zu gewähren, die er in Frankreich niemals erhalten hätte. Das Thema der Freimaurerei: Bei Reinhardt Fehlanzeige – um so seltsamer, als fast alle Freunde Voltaires Mitglieder in Freimaurerlogen waren.

Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (5.1): Am Hof des Kriegerkönigs

Schon im Titel dieses Kapitels zeigt sich, dass Reinhardt – wie so viele seiner Zunft -meint, dass Friedrich II., genannt der Große, vor allem durch seine zahlreichen Kriege charakterisiert werden könnte. Kriege haben allerdings viele Könige geführt, auch das Habsburgerreich kam zu seiner Größe nicht nur durch Heiraten. Wenige haben Schriftsteller und Philosophen an ihren Hof gerufen, um sie vor lebensbedrohlicher Verfolgung zu schützen (von Reinhardt ins Negative gedreht: „..die durch Gehaltszahlungen von Friedrich abhängig waren“(315), oder „von der Gunst des Königs abhängig“(316)). Wenige haben die Folter abgeschafft, wenige die Kirchen in ihre Schranken verwiesen. Dass es am preußischen Hof zuging, wie an allen Höfen – auch dies ist keine Besonderheit Friedrichs.

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Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (4): Der Homme de Lettres und die Mathematikerin

„Die Abenteuer der Freiheit“ heißt der Untertitel von Volker Reinhardts Voltaire Biographie. Im 4. Kapitel scheint es, als ob die Freiheit Voltaires weiterginge als die des Autors bzw. seines Mentors (das ist R. Pomeau) und er daher zu einem erstaunlichen Werturteil kommt. Die Zeit in Cirey ist der Lebensabschnitt, in dem Voltaire am glücklichsten war, was vor allem an der außergewöhnlichen Persönlichkeit der Frau lag, mit der er von 1733 – 1749 zusammenlebte: Emilie du Châtelet.

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Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (3) Auf der Suche nach Reichtum und Ruhm

Das dritte Kapitel berichtet über die Jahre 1728 – 1734, den Lebensabschnitt, in dem Voltaire mit Haftbefehl verfolgt wurde und schließlich nach Cirey in die Champagne floh. Man hätte erwartet, dass diese dramatische Wendung in der Biographie Voltaires durch eine intensive Beschäftigung mit dem Corpus delicti, seinen Philosophischen Briefen und den gesellschaftlich-politischen Gründen der Verfolgung verständlich gemacht wird. Dem ist jedoch nicht so. Das Ziel, möglichst viele Werke vorzustellen, führt dazu, dass durch ausführliche Inhaltserzählungen kaum Platz für Hintergrundanalysen bleibt.

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