„Die freundliche Ideologie“, Stefan Ripplinger, Junge Welt, 29.7.2023

In der Wochendausgabe der Jungen Welt vom 29.7.23, die unter dem grotesken, aber ernstgemeinten Titel „Kapitalismus killt Klima“ aufmachte, erschien auch der oben genannte Artikel eines gewissen Stefan Ripplinger, ein Vielschreiber, der auch die obskure Jungle World mit „auf den Weg“ brachte. In seinem neuesten Elaborat verspricht er, drei Publikationen vorzustellen, die den modernen „Wokismus“ kritisieren. Wir werden es hier unterlassen, seine äußerst fragwürdige Kritik einer Analyse zu unterziehen, das lohnte den Aufwand nicht und jeder Leser kann sich ja selbst ein Bild davon machen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die in dem Artikel enthaltene Abwertung der Aufklärung, die er, wie auch den Wokismus, als „freundliche Ideologie“ tituliert und insbesondere auf seine Schmähung Voltaires, ihres wichtigsten und bekanntesten Vertreters.

Ripplinger beginnt damit, dass er, die fatale Parole der sogenannten Kritischen Theorie auftischend, eine „bekannte Zwiespältigkeit“ der Aufklärung behauptet, wonach die „emphatische [sic, er meint empathisch !] Aufklärung zu technischer Rationalität“ verkommen sei und, einmal im Schwange, Voltaire als „glühenden Antisemiten“ diffamiert. „Die Liste der Kritikpunkte“, meint er, „ließe sich beliebig verlängern“. Zum guten Schluss seiner Diffamierung setzt er noch, ganz jungleworld-mäßig, einen kleinen Misthaufen in die (Junge) Welt: „Die Widersprüche [der Aufklärung] ergaben sich, kurz gesagt, aus dem Missverhältnis von Anspruch und gesellschaftlich-ökonomischer Verfasstheit“ und wendet sich, mit diesem Geruch in der Nase, der Kritik am Wokismus zu.

Wer waren nun in der Geschichte „glühende Antisemiten“, also von Hass und Mordgier getriebene Gesellen? Natürlich würde man landauf, landab mit A. Hitler und Konsorten beginnen, über A. Rosenberg vielleicht zu Turnvater Jahn gelangen, womit man jedoch immer noch nicht den größten Antisemitenpool der Geschichte angerührt hätte, den zweifellos das Christentum schuf und bis heute vorstellt.

Nun war Voltaire, wenn schon „glühend“, bekanntermaßen ein glühender Gegner des Christentums und ein Gegner aller Offenbarungsreligionen, also der Religionen, die die Auffassung vertreten, dass außer ihren Berufsspezialisten, den Priestern, niemand beurteilen kann, was wahr oder falsch, richtig und gut, schön oder hässlich ist. Diese Hybris der Offenbarungsreligionen fusst seit ihrer Gründung bis zum heutigen Tag auf der Behauptung ihrer Gründer, exklusiv mit Gott gesprochen zu haben, eine Behauptung, die Voltaire für Betrug hält. In diesem Kontext ist seine Kritik am Christentum, am Judentum und am Islam zu sehen, insbesondere natürlich seine Kritik am finsteren Alten Testament und an den 5 Büchern Moses.

Nimmt man diese kaum anfechtbare Bibelkritik der Aufklärung aus dem Antisemitismus-Vorwurf heraus, bleibt nicht mehr allzu viel davon übrig. Erwähnenswert ist noch, dass die Französische Revolution, die bekanntlich auf der Religionskritik der Aufklärung aufbaute, den Juden volle Bürgerrechte garantierte.

Wir haben in einer Analyse der uns bekannten Textstellen aus den Werken Voltaires den von einem zeitgenössischen Pfarrer namens Abbé Guenée erhobenen, seither aber immer wieder geäußerten Antisemitismusvorwurf gegen Voltaire untersucht. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass Voltaire die Juden an einigen Stellen als Fremdkörper in einer christlichen Umgebung ansieht (was diese ja auch lange waren und was von den adligen christlichen Fürsten immer wieder rücksichtslos ausgenutzt wurde), wobei er sich entschieden gegen die Katholische Kirche und die ihr eigenen Scheiterhaufen ausspricht (Rede des Rabbi Akib).

Zu dem Antisemitismusvorwurf und was dahintersteckt, haben wir in dem Artikel „Voltaire – ein Antisemit? Widerlegung scheinheiliger Behauptungen“ bereits vor längerem, damals noch gegen einen Artikel in der Zeitung Die Welt, Stellung genommen. Das Fazit der Textstellenanalyse, die man auf unseren Internetseiten nachlesen kann, wiederholen wir auszugsweise hier:

„Voltaire nahm die jüdischen Gemeinschaften wahrscheinlich als Fremdkörper in seiner Umgebung wahr, die sich in ihren konservativen, absurden Glauben einigelten und eher negativ als positiv die Entwicklung hin zu einer aufgeklärten Welt beeinflussten, ähnlich vielleicht, wie man heute die islamisch-konservativen Gruppierungen unserer Zeit wahrnehmen kann. Hier sei an sein „Ihr sollt sie aber nicht verbrennen“ erinnert, denn in diesem Zusammenhang gehört es nochmals gesagt. Im großen Werk Voltaires findet man viele Äußerungen, die sich aus seiner Kritik der jüdischen Religion ergeben, sie ist für ihn – wie das Christentum – „eine Religion des Aberglaubens mit grausamen, Gott zugeschriebenen Geboten, mit einer manipulativen Priesterschaft und barbarischen Verhaltensmaßregeln, die mit Humanismus und Moral nicht in Einklang zu bringen sind“. Aber nur an wenigen Stellen äußert er sich abfällig über die Juden als ethnische Gruppe. Auch die jüdischen Gemeinschaften zu seiner Zeit waren für Voltaire ein eher nebensächliches Thema. Im Vordergrund stand für ihn eindeutig der Kampf gegen die Mordbrenner, die Fanatiker der katholischen Kirche. Er hasste die Juden nicht, auch dann nicht, wenn er mit einigen von ihnen negative persönliche Erfahrungen machte, die er ganz offensichtlich nicht ihrer Religion zuschrieb. [….] Voltaire war kein Antisemit“.