Candide oder der Optimismus. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dieter Meier. Mit einem Nachwort von Tobias Roth, Ditzingen: Reclam, 2025, 176 S.
Eine Rezension von Rainer Bauer

Wer, wenn nicht Dieter Meier, wäre besser geeignet, einen neuen Standard für zukünftige Candide Übersetzungen zu setzen? Dieter Meier war langjähriger Lektor für französische Literatur im Reclam-Verlag. Er betreute die Neuübersetzung von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und auch unser Projekt, die Herausgabe der ersten vollständigen Übersetzung des Philosophischen Taschenwörterbuchs von Voltaire, – um nur diese beiden zu nennen.

Im Mai 2025 erschien nun in der Reclam Universalbibliothek der von ihm übersetzte Candide, versehen mit ausführlichen und wertvollen Anmerkungen zum Verständnis dieses Klassikers der Weltliteratur. Um es vorwegzunehmen: An seiner Übersetzung gibt es nichts auszusetzen: Sie folgt dem Ursprungstext, sie enthält keine Fehler und auch keine nach Originalität heischenden Wortschöpfungen wie etwa die zuletzt (2018) erschienene Übersetzung von Tobias Roth (siehe dazu unsere ausführliche Rezension). Seltsam nur, dass ausgerechnet Tobias Roth das Nachwort zu dem Büchlein verfasste – der Verlag wird wissen, aus welchen Gründen, doch dazu später.

„Candide oder der Optimismus. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dieter Meier. Mit einem Nachwort von Tobias Roth, Ditzingen: Reclam, 2025, 176 S.
Eine Rezension von Rainer Bauer“
weiterlesen

Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie –
Kritisch kommentiert von Rainer Neuhaus

1. Auf dem Weg zum eigenen Namen

Das erste Kapitel der neuen Voltaire Biographie von Prof. Volker Reinhardt , das sich Kindheit und Jugend Voltaires widmet, orientiert sich sehr stark an der nur auf Französisch erschienenen Biographie von René Pomeau. Reinhardt erzählt routiniert, aber auch mit großer Distanz zu seinem Gegenstand.
Zum Beispiel wertet er die Jugendliebe Voltaires zu Pimpette als „Pflichtpensum“, so als ob er selbst nie neunzehn Jahre alt gewesen wäre.

„Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie –
Kritisch kommentiert von Rainer Neuhaus
weiterlesen

Rezension: Voltaire, Der unwissende Philosoph, aus dem Französischen von Ulrich Bossier, Nachwort von Tobias Roth, Ditzingen: Philipp Reclam Jun. (RUB 14169), 2022, 108 S.

Die unterdessen fünfte Übersetzung des Philosophe Ignorant ist eine sprachliche Aktualisierung dieser philosophischen Standortbestimmung Voltaires aus dem Jahre 1766. Wie jede Neuübersetzung krankt sie teilweise am Zwang, eine Verbesserung liefern zu müssen, ohne wirklich eine solche zu sein und ist allerdings teilweise wirklich besser als die zuletzt erschienenen.
Die Anmerkungen gehen kaum über die bereits bekannten aus den französischen Gesamtausgaben von Moland und der Voltaire Foundation hinaus, insgesamt ist die Übersetzung und sind die Anmerkungen solide.

Anders das Nachwort von Tobias Roth.  Schon der erste Satz („Jemand wie Voltaire kann uns nicht weismachen, er wisse nichts“) zeigt, dass er nicht versteht, worum es Voltaire in diesem Werk ging und gehen musste. Er fokussiert auf die Skepsis, die Voltaire ganz offensichtlich als Grundhaltung in dieser Abhandlung ins Werk setzt, lässt aber die existentielle Bedrohung, die für Voltaire aus den Terrorurteilen Sirven/de La Barre in den Jahren 1765 1766 entstand, völlig außer Acht, obwohl sie im Hintergrund der Argumentation nur allzu offensichtlich die Regie bestimmt1.

Voltaires „Wir müssen wieder bei Null anfangen“ ist nichts anderes, als eine Selbstvergewisserung angesichts dieser großen Verunsicherung in den aufgeklärten Kreisen der Jahre 1765/1766.
Wir haben dies ausführlicher in unserer Inhaltsangabe zum Unwissenden Philosophen dargestellt und wollen den Punkt deshalb hier nicht weiter ausführen.

Seltsam auch, wie Roth Voltaire zu einem Ethiker macht, dem es im Unwissenden Philosophen um eine Art Theorie der Nützlichkeit und der Gerechtigkeit ginge. In der Tat beschäftigt sich Voltaire ab Kapitel XXX mit der Moral, jedoch tut er dies in vor allem praktischer Absicht, um nämlich aus einer moralisch unanfechtbaren Position seine Gegner um so besser angreifen zu können und um wiederum seinen Anhängern zu zeigen, dass es nicht anders geht: Man muss den Kampf der Aufklärung bis zum Ende weiterführen!

Schon einmal war uns Tobias Roth negativ aufgefallen, als er sich an der Vernebelung der Tragödie Mahomet oder der Fanatismus beteiligte. Indem er in seinem Nachwort die inquisitorischen Aktivitäten im Hintergrund des Unwissenden Philosophen verschweigt, hat Tobias Roth ein zweites Beispiel dafür geliefert, dass er unter dem Einfluss antiaufklärerischer Vernebeler steht.
Man sollte ihn kein weiteres Nachwort zu einem Werk Voltaires schreiben lassen, es sei denn, das Vernebeln würde bezweckt.

  1. Nähere Angaben zur irritierten Aufnahme des Unwissenen Philosophen im Umfeld Voltaires (z.B. v. Grimm): René Pomeau, Voltaire en son temps II, p. 199 – 203 ↩︎

Volker Reinhardt, Voltaire, Die Abenteuer der Freiheit, München: Beck, 2022, 607 S.

Ein allererster Eindruck, von Rainer Neuhaus.

Seit der Übersetzung von Theodore Bestermans Voltairebiographie im Jahr 1971 hat es in diesem Umfang keine weitere Biographie in deutscher Sprache mehr gegeben. Das mehrbändige Werk von René Pomeau, 1985-1995 in Frankreich erschienen, wurde dort zur verbindlichen Voltaire Biographie, ohne die Reinhardts Publikation wohl nicht möglich gewesen wäre. Er verdankt ihr sehr viel, orientiert sich stark an den dort vorgegebenen Schwerpunkten und steht somit fest auf dem Boden der französischen Voltaireforschung der letzten vierzig Jahre. Trotzdem ist sein Werk nicht nur eine Nacherzählung von Pomeau, insbesondere die ausführlichen Inhaltsangaben zu den wichtigsten Werken Voltaires für sein deutschsprachiges Publikum stellen einen ganz eigenen Beitrag dar. Hier der erste Eindruck:

„Volker Reinhardt, Voltaire, Die Abenteuer der Freiheit, München: Beck, 2022, 607 S.“ weiterlesen

Voltaire lesen: Das Philosophische Taschenwörterbuch.

Ende 2020 erschien im Reclam Verlag das von der Voltaire-Stiftung erstmalig vollständig auf Deutsch herausgegebene bedeutende Werk der Aufklärung.

Zu jedem Artikel des Philosophischen Taschenwörterbuchs gibt es hier auf unseren Internetseiten eine kurze Inhaltsangabe und den französischen Originaltext, Zug um Zug ergänzt durch einen Kommentar mit Hintergrundinformationen und ausführlichen Anmerkungen. Zum Beispiel: die Kommentarseite zum Artikel „Krieg“. Wie heute debattierten im 18. Jahrhundert echte und falsche Philosophen, natürlich auch Theologen und Ideologen über den Krieg. Einige Mächtige organisierten ihn. Viele litten und starben durch den Krieg, ohne dass man in der öffentlichen Debatte auf das unermessliche Leid – bis heute hat sich daran nichts geändert – das Hauptaugenmerk legte. Darüber empörte sich Voltaire, und sollte auch uns Heutige empören!

Nach über 250 Jahren ist diese antiklerikale Kampfschrift immer noch aktuell. Voltaire zeigt, welche Fragen man stellen sollte, um sich der geistigen Bevormundung durch scheinbare Autoritäten zu erwehren: Was wurde zu einem Thema bisher gesagt (Unterschiedliche Aussagen vergleichen)? Wer hat es gesagt (Nach den Quellen suchen)? Was wissen wir selbst (Eigene Beobachtungen tätigen)? Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen (Aussagen nach Plausibilität bewerten)?
Gut, dass es bei Voltaire um die Befreiung von der kirchlich-religiösen Bevormundung geht (so schön fern von all unseren Finsternissen): Einmal verstanden, braucht man sein Verfahren nur auf heute zu übertragen, es kommt Licht in die Sache und man kann überlegen, was zu tun ist.


„Voltaire lesen: Das Philosophische Taschenwörterbuch.“ weiterlesen

Matthias Wulfmeyer, Die Akte Voltaire, independently published, 2020, 200 S.

Akte Voltaire

Dass Voltaire wohlhabend, ja reich war, wissen viele. Woher er seinen Reichtum hatte, weiß – zumindest in Deutschland – fast niemand. Zwar gibt es dazu Fachliteratur*, aber wer liest schon Fachliteratur – und dazu noch auf Französisch! Diesen weißen Fleck zu schließen, ist die Idee hinter „Die Akte Voltaire“, einer ‚Abenteuergeschichte‘ von Matthias Wulfmeyer, die Ende 2020 erschienen ist. Die Geschichte geht so: Voltaire kommt 1729 von England aus der Verbannung genau in dem Jahr zurück, in dem der französische Staat in einer miserablen Finanzlage ist und zur Aufbesserung der Staatskasse eine große Lotterie ausruft.

„Matthias Wulfmeyer, Die Akte Voltaire, independently published, 2020, 200 S.“ weiterlesen

Voltaire: Philosophisches Taschenwörterbuch, nach der Erstausgabe von 1764 erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt von Angelika Oppenheimer […], Ditzingen: Reclam 2020, 444 Seiten.

Voltaire Philosophisches Taschenwörterbuch

Erstmals ist in deutscher Sprache das vollständige Philosophische Taschenwörterbuch Voltaires, eines der bedeutendsten Werke der Aufklärung, herausgegeben von unserer Voltaire-Stiftung, bei Reclam erschienen!

Als Voltaire 1764 sein Philosophisches Taschenwörterbuch anonym veröffentlichte, kam dieses Ereignis in der damals stark klerikal dominierten Welt einem Erdbeben gleich. Niemand hatte es bisher gewagt, die Kirche derart frontal auf allen wesentlichen Gebieten anzugreifen. Die Infame reagierte prompt, das Buch wurde ein Jahr später öffentlich in Paris verbrannt. Wer es besaß, lebte gefährlich, der Chevalier de La Barre zum Beispiel wurde nicht zuletzt deshalb 1769 in Abbéville auf dem Scheiterhaufen verbrannt; mit ihm verbrannte das Philosophische Wörterbuch, das die Schergen der Inquisition in seiner Bibliothek entdeckt hatten.

„Voltaire: Philosophisches Taschenwörterbuch, nach der Erstausgabe von 1764 erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt von Angelika Oppenheimer […], Ditzingen: Reclam 2020, 444 Seiten.“ weiterlesen

Voltaire, Candide oder der Optimismus. Neu übersetzt von Tobias Roth und illustriert von Klaus Ensikat. Officina Ludi: Großhansdorf, 2018, 123 S.

Die sehr ansprechende, bibliophile Ausstattung mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat überzeugt unbedingt, weniger die Übersetzung von Tobias Roth. Dieser mangelt es vor allem an Tempo, dem für Candide so wichtigen, beschwingten Sprachstil, der durch die Neigung, aus einem Satz bei Voltaire zwei im Deutschen zu machen, heruntergedrückt wird. Auch sind etliche Übersetzungsideen ziemlich gesucht, was eventuell darauf zurückzuführen ist, daß Roth originell und eigenständig sein wollte. Das ging schief.

vollständige Besprechung lesen

Voltaire, Elemente der Philosophie Newtons, Verteidigung des Newtonianismus, Die Metaphysik des Neuton

herausgegeben von Renate Wahsner und Horst Heino v. Borzeszkowski, Berlin 1996 (de Gruyter ). Die Autoren ordnen Voltaires Werk in ihrem Vorwort in die zeitgenössische wissenschaftliche Diskussion ein, insbesondere in die Leibniz – Newton Debatte, um dann etwas haarspalterisch auf dem neuzeitlichen Unterschied “mechanisch – mechanizistisch” herumzureiten. Sie loben Kant und die Metaphysik und freuen sich über Quanten, Unschärfen und ähnliche Feinheiten, die die Anwendbarkeit von Newtons Mechanik heute auf ein kleines Gebiet einschränkten. Die Neuherausgabe und Übersetzung zusammen mit dem Faksimilie der “Metaphysik des Neuton” von 1741 ist aber alleine schon verdienstvoll genug. Die Diskussion andererseits lesbar und angenehm durchsichtig. Unschön, ans Ende das böse Lessingwort zu setzen und für das ganze einen Preis von 98.-€ zu verlangen.