Der Antimachiavel Friedrichs II. oder wie sich ein kleiner Verleger gegen den preußischen König durchsetzte

Eine kleine Editionsgeschichte

nach Kees van Strien, Voltaire in Holland 1736-1745, Leuven: Peeters, 2011, 589 S. 

1. Ein Verleger steht zu seinem Auftrag

Von Friedrich vor seiner Thronbesteigung als eine Art Bekenntnis zur Staatsführung im Sinne der Aufklärung verfasst (z.B.: „Es ist demnach die Gerechtigkeit, welche das vornehmste Augenmerk eines Fürsten sein soll; es ist demnach die Wohlfahrt seines Volkes, so er allem anderen Nutzen vorziehen muss„), war ihm sein Antimachiavel nach der Krönung (31. Juni 1740) nicht mehr genehm und er verlangte von Voltaire, das Buch zu unterdrücken. Voltaire hatte sich sehr viel von dem Werk versprochen und viel daran gearbeitet, er versuchte nun im Auftrag Friedrichs den mit der Herausgabe bereits beauftragten Verleger Van Düren (1687 – 1757)* in Den Haag zu überzeugen, von einer Veröffentlichung abzusehen, was sich als schwierig erwies. Van Düren, einer der führenden Verleger Hollands, der auch in Frankfurt und Leipzig ausstellte, weigerte sich  nämlich, die Herausgabe fallenzulassen, denn eine skandalträchtige Veröffentlichung dieses Buches, verfasst von einem frisch gekrönten Haupt, war werbewirksam und gewinnträchtig. Also kündigte er  in der Zeitung s’Gravenhaagse Courant vom 25. 7. 1740 das baldige Erscheinen des Antimachiavels an.

2. Voltaire erfüllt seine Aufgabe, aber nicht richtig

Voltaire behauptete jetzt, daß noch Korrekturen notwendig seien, aber Van Duren war schlau genug, das Manuskript nicht aus der Hand zu geben und erlaubte Voltaire Korrekturen nur in seinem Büro unter Aufsicht seiner Mitarbeiter vorzunehmen. Also ließ  sich Voltaire in einem Arbeitszimmer Van Durens einschließen und verunstaltete – ganz Komödiant – das Manuskript mit sinnentstellenden und grotesken Korrekturen, um es für den Verleger unbrauchbar zu machen. Doch dieser Schuß ging nach hinten los, denn Van Düren drohte damit, das Werk genau so verdreht herauszubringen – was wiederum Voltaire in arge Bedrängnis brachte, denn Friedrich hätte nicht schlecht gestaunt, wenn sein Werk derart entstellt gedruckt worden wäre. Um dieses zu verhindern, musste Voltaire Van Düren dazu bringen, wenigstens die ursprüngliche, nicht entstellte Version zu veröffentlichen.
Als diese erste Finte Voltaires nichts gefruchtet hatte, verlegte er sich darauf, Geld anzubieten, doch Van Duren blieb hart – er wollte die Veröffentlichung durchziehen, ganz egal wieviel Geld man ihm anbot. Jetzt hoffte Voltaire, durch Korrekturen der Druckfahnen Zeit zu gewinnen, doch van Düren wollte unbedingt zur Frankfurter und Leipziger Messe am 29. September 1740 mit dem Druck fertig sein, wartete daher nicht länger ab und konnte den Anti-Machiavel Anfang September fertig zum Verkauf vorlegen, und zwar ’nach dem Originalmanuskript‘ und ohne die Vorrede Voltaires, die dieser ihm gegeben hatte(1). Diese erste Ausgabe beginnt mit Machiavellis ‚Principe‘ in der Übersetzung von Amelot de La Houssaye, es folgen ein Widmungsgedicht des Übersetzers und ein Widmungsgedicht Machiavellis an Lorenzo de Médici, dann die Kritik Friedrichs, am Ende Anmerkungen. Diese Reihenfolge behielten mehr oder weniger auch alle späteren Veröffentlichungen bei. Am 4. Oktober bot Van Duren das Buch in Den Haag an, was erhebliche Wellen schlug, die Diplomatengemeinde war in heller Aufregung und alle berichteteten von dem Buchereignis an ihre Regierungen. Friedrich teilte Voltaire daraufhin mit, daß er seine Autorenschaft leugnen werde, weil ihm die ‚Verbesserungen‘, die Voltaire vorgenommen hatte, nicht gefielen. Des französische Hof griff Voltaire ebenfalls an, hauptsächlich wegen einigen antikirchlichen Passagen, so daß er versprach, eine zweite, gesäuberte Version zu erarbeiten.

(1)L’Antimachiavel ou Examen du Prince de Machiavel  avec des notes historiques & politiques, Par Frédéric II, roi de Prusse, éd. par Voltaire, à la Haye chez Jean Van Duren-1741 [=1740], XXXII, 364 p.

3. Hase und Igel um den Anti-Machiavel

Vorerst hatte aber Van Duren seine Druckerpressen angeworfen, er publizierte zusätzlich eine gekürzte Ausgabe ohne Anmerkungen(2) in kleineren Lettern mit Londoner Verlagsangabe (wahrscheinlich um Raubdrucke zu verhindern) und kurz danach eine Prachtausgabe des Originals, wiederum mit der (falschen) Jahresangabe 1741.

Voltaire machte sich unterdessen daran, bei seinem neuen Verleger Paupie eine ‚richtige‘ Version des Anti-Machiavel unter dem Titel L’Antimachiavel ou Essai de critique sur le Prince de Machiavel herauszubringen.(3) Diese Ausgabe enthält das Vorwort Voltaires und weicht von der Originalschrift Friedrichs noch stärker ab. Van Duren bekam bald Wind von dem Projekt und drohte Voltaire mit einem Copyrightprozess. Um den Streit zu vermeiden, kaufte Voltaire alle gedruckten Exemplare ’seiner‘ Ausgabe auf und organisierte die Verteilung der Bücher an Bekannte, Freunde und Interessierte selbst. Kritiker bemerkten schnell, daß die Van Duren Ausgabe schöner und handwerklich besser gemacht war, also sah sich Voltaire gezwungen, wollte er den Wettlauf nicht verlieren, eine weitere ‚korrigierte‘ Version anzukündigen, wozu er vor allem Zeit brauchte.

Er entschloss sich, den Markt erst einmal mit einer weiteren Ausgabe von Paupie zu füttern, die den Editionsvermerk: ‚À la Haye, aux dépens de l’éditeur‘ (auf Kosten des Herausgebers) trägt.(4) Sie enthält im Anschluß an das Inhaltsverzeichnis ein ‚Avis de l’éditeur‘, in dem Voltaire Van Durens Ausgaben als nicht autorisiert und fehlerhaft bezeichnet. Erst im Frühjahr 1741 erschien dann als ‚Nouvelle édition où l’on a ajouté les variations de celle de Londres bei Paupie die geplante Neuausgabe(5) (mit zwei verschiedenen (falschen) Ortsangaben: A Marseille, chez les frères Colomb‘ und ‚A Amsterdam, chez Jacques La Caze, 1741. Van Duren hatte jetzt das Problem, daß seine Ausgaben ohne das zweite Zugpferd Voltaire auskommen mussten, also versuchte er, auch zu seiner Rechtfertigung, mit einer weiteren Ausgabe sein gutgehendes Machiavel Geschäft am Laufen zu halten, die – man sieht, daß auch Van Düren mit dem Copyright locker umging – Voltaires Vorrede und zehn Briefe von Voltaire an Van Düren, sowie Stellungnahmen Dritter zu dem Konflikt enthält. Diese Ausgabe erschien mit dem Hinweis: enrichie de plusieurs pièces nouvelles & originales, la plupart fournies par M. F. de Voltaire.(6)

(2) L’Examen du Prince de Machiavel avec des notes historiques & politiques,A Londres, Chez Guillaume Mayer, M.D.CC.XLI [=La Haye: Jean Van Duren, 1740] XX, 340 p..

(3) L’Antimachiavel ou Essai de critique sur le Prince de Machiavel, publié par M. de Voltaire, À la Haye::Paupie 1740, XIV, 191 p.

(4) L’Antimachiavel ou Essai de critique sur ‚le Prince‘ de Machiavel, publié par M. de Voltaire, À la Haye, aux dépens de l’éditeur::Paupie 1740, XVI, 191 p.

(5)Anti-Machiavel , ou Essai de critique sur le Prince de Machiavel, publié par Mr. de Voltaire. Nouvelle édition, où l’on a ajouté les variations de celle de Londres, A Amsterdam, chez Jacques La Caze. 1741, XXXII-82-112-67-[3] p.

6) Examen du Prince de Machiavel  avec des notes historiques & politiques. Troisieme edition enrichie de plusieurs piéces nouvelles & originales, la plupart fournies par M. F. de Voltaire, 2 vol. LX-248 p. ; 322 p.).

4. Epilog

Jetzt bestand die Gefahr, daß man das Publikum mit immer neuen Ausgaben ermüdete. Jede weitere Publikation versuchte, den Streit genauer abzubilden, die Varianten der verschiedenen Ausgaben aufzuzeigen und wurde dadurch immer unleserlicher. Nennenswert zum Abschluß dieser Editionsgeschichte (in der nicht die vielen Übersetzungen in alle Sprachen Europas berücksichtigt wurden**), ist die als Band VI der gesammelten Werke Machiavellis (Oeuvres de Machiavel, nouvelle édition, La Haye 1743) erschienene Ausgabe, die man erstaunlicherweise gemeint hat, einer Werkausgabe Machiavellis einfügen zu müssen, vielleicht um diese besser verkaufen zu können. Dieser Band erschien 1743 unabhängig von der Werkausgabe als eigenständiges Buch.(7)

(7) L’Antimachiavel ou Examen  du Prince de Machiavel avec les diverses lecons de toutes les éditions qui en ont été faites jusqu`à présent et un receuil de piéces originales touchant l’impression de l’ouvrage, aux dépens de la Compagnie, La Haie 1743, LX 485 p.

*Van Duren /1687 – 1757) , Buchhändler, Drucker in Den Haag (wohnhaft In de Lange Pooten, heute Plein, 10) Sohn eines Unteroffiziers, lernte bei Adriaen I Moetjens. Von 1737 bis 1742 nimmt er an den Messen in Frankfurt und Leipzig teil. Frankfurter Verleger beschweren sich über sein Eindringen in den örtlichen Markt. Nach seinem Tod setzte seine Witwe Maria Cappel das Geschäft mit ihren beiden Söhnen fort. Quelle: Onlinekatalog der Bibliohèque Nationale, Paris.

**erwähnt sei zumindest die im Jahr 1756 veröffentlichte deutsche Übersetzung: Nicolaus Machiavell, Regierung eines Fürsten, Hannover und Leipzig:bey Johann Wilhelm Schmidt, der dann wie üblich der Antimachiavell folgt, und zwar unter dem Titel ‚Antimachiavell oder Versuch einer Kritik über Nic. Machiavells Regierungskunst eines Fürsten. Nach des Herrn von Voltaire Ausgabe ins Deutsche übersetzt; wobey aber verschiedenen Lesarten und Abweichungen der ersten Haagischen und aller anderen Auflagen, angefüget worden‘. Der Band schließt ab mit einer ‚Historie des Antimachiavells nebst den darüber gefällten Urteilen‘, wo man auf 136 Seiten Briefe Voltaires, Van Durens und andere Dokumente präsentiert und auswertet.

Literaturhinweis: Neben der aktuell durch Kees van Steen in englischer Sprache publizierten Studie ‚Voltaire in Holland‘ ist sehr lesenswert die 1991 bei Reclam erschienene Ausgabe des Anti-Machiavell:

Friedrich der Große, Der Animachiavell oder Untersuchung von Machiavellis ‚Fürst‘, bearbeitet von Voltaire, Übersetzung aus dem Französischen, Nachwort und Anmerkungen von Helga Bergmann, Leipzig:Reclam 1991, 149 S., mit dem hervorragenden Nachwort der Übersetzerin.