Volker Reinhardt, Voltaire, Die Abenteuer der Freiheit, München: Beck, 2022, 607 S.

Ein allererster Eindruck, von Rainer Neuhaus.

Seit der Übersetzung von Theodore Bestermans Voltairebiographie im Jahr 1971 hat es in diesem Umfang keine weitere Biographie in deutscher Sprache mehr gegeben. Das mehrbändige Werk von René Pomeau, 1985-1995 in Frankreich erschienen, wurde dort zur verbindlichen Voltaire Biographie, ohne die Reinhardts Publikation wohl nicht möglich gewesen wäre. Er verdankt ihr sehr viel, orientiert sich stark an den dort vorgegebenen Schwerpunkten und steht somit fest auf dem Boden der französischen Voltaireforschung der letzten vierzig Jahre. Trotzdem ist sein Werk nicht nur eine Nacherzählung von Pomeau, insbesondere die ausführlichen Inhaltsangaben zu den wichtigsten Werken Voltaires für sein deutschsprachiges Publikum stellen einen ganz eigenen Beitrag dar. Hier der erste Eindruck:

1. Wenn er im kommentierten Literaturverzeichnis dem Voltairespezialisten Theodor Bestermann vorwirft, zu parteiisch zu sein, fragt sich, an welchen Stellen sich Reinhardt von der unserer Meinung nach bisher besten Darstellung von Leben und Werk Voltaires in deutscher Sprache distanzieren wird.

2. Der Biographie von Käthe Schirmacher, die als erste das Leben Voltaires vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Lage im absolutistischen Frankreich beschreibt, wirft er vor, sie sei ‚wissenschaftlich nicht zu gebrauchen‘. Die Voltaire-Biographie von T. Bergner aus der DDR mit einem ähnlichen Ansatz findet dagegen sein Gefallen.

3. Wenn Reinhardt das Spekulationsgeschäft Voltaires (die sogenannte Hirschel Affäre) beschreibt, hat man den Eindruck, dass er nicht genau versteht, wie ein Wechselgeschäft funktioniert, Quellen nennt er gar keine, so dass man nicht nachvollziehen kann, woher er seine Informationen bezieht (meist allerdings aus der Voltaire Biographie von Pomeau).

4. Textstellen aus dem Werk Voltaires übersetzt Reinhardt selbst, kann er auch, denn er hat Romanistik studiert – ob das aber immer sinnvoll ist, darf bezweifelt werden, zumal, wenn es bereits sehr gute Übersetzungen gibt (etwa die des Gedichtes zum Tod von Adrienne Lecouvreur).

5. Wenn Reinhardt über den Tod Voltaires schreibt, vernachlässigt er die üble Rolle der Kirche, die ein ordentliches Begräbnis Voltaires auf alle Fälle verhindern wollte.

6. Die Schonung der Kirche könnte sich durchziehen, auch in der kurzen Einleitung kommt sie als Hauptgegnerin Voltaires kaum vor, Voltaires akribisch aufgebautes Freundschaftsnetzwerk von Gleichgesinnten, auch unter Freimaurern, erwähnt er gar nicht (die Voltairebiographie von Lepape, die dem nachgeht, findet sich im Literaturverzeichnis nicht).

7. Rousseau wird zum ‚literarischen Hauptgegner‘ Voltaires stilisiert, der er gewiss nicht war.

8. Dass Reinhardt Voltaire immer wieder als Provokateur (also als einen Unruhestifter) bezeichnet, empfinden wir als störend, vielleicht ist auch dies seiner Unterschätzung der kirchlich autoritären Macht geschuldet.

Nach dieser ersten Durchsicht hat sich trotz der geäußerten Kritik von dem Buch erst einmal ein positiver Eindruck erhalten. Dem eigenen Lektürefortschritt folgend, haben wir hier Kapitel für Kapitel kommentiert:
Kapitel 1: Auf dem Weg zum eigenen Namen
Kapitel 2: Am Hof und im Exil
Kapitel 3: Auf der Suche nach Reichtum und Ruhm
Kapitel 4: Der Homme de Lettres und die Mathematikerin
Kapitel 5.1: Am Hof des Kriegerkönigs (Tod Emilie du Châtelets und Abreise)
Kapitel 5.2: Am Hof des Kriegerkönigs (Warum Berlin?)
Kapitel 5.3: Am Hof des Kriegerkönigs (Zerwürfnisse)
Kapitel 6: Zwischenspiel im Elsass und in Genf
Kapitel 7 u. 8: Der Patriarch von Ferney und Tod