Voltaire und Friedrich II – Literaturübersicht (kommentiert)

Die Beziehung – vielleicht Freundschaft zu nennen? – zwischen Voltaire und Friedrich hat die Zeitgenossen bewegt, aber auch seither viel Druckerschwärze verbraucht.
Diese Fragen beschäftigten die Experten am meisten:
– Hatte Friedrich oder Voltaire einen schlechten Charakter oder, falls beide, wer hatte den schlechteren?
– Wer verhielt sich in der Affäre um den Physiker Samuel König und den preußischen Akademiepräsidenten Maupertuis richtig?
– War Voltaires Aufkauf sächsischer Schuldscheine ein hinterlistiges Verhalten, mit dem er den ihm wohlgesonnenen König Friedrich hinterging?
– Waren Voltaires „Denkwürdigkeiten“, in denen er Friedrich nicht sehr vorteilhaft porträtierte, historisch korrekt oder hauptsächlich persönliche Verleumdung aus Rachegefühl?
– Hatte Friedrich Voltaire in Frankfurt zu recht inhaftieren lassen, trug also Voltaire an seinem Hausarrest selbst die Schuld, oder war es ein Racheakt Friedrichs an dem unbeugsamen Voltaire?
– War Friedrichs Nähe zur Aufklärung nur Propaganda und Selbstdarstellung oder entsprang sie ehrlicher Überzeugung?

Je nachdem, wie in den Jahrzehnten nach dem Tod der beiden in Deutschland die Regierungszeit Friedrichs gesehen wurde, glaubten die Schriftsteller verpflichtet zu sein, auch Voltaire einzuordnen: Sahen sie Friedrich positiv, präsentierten sie Voltaire negativ – und umgekehrt. Wir geben nachstehend Hinweise auf einige aus unserer Sicht interessante Werke. „Voltaire und Friedrich II – Literaturübersicht (kommentiert)“ weiterlesen

Aufstieg und Untergang der Vernunft: Hoevels, Fritz Erik, Wie unrecht hatte Marx wirklich? Bd. II, Lüge und Gewalt, Freiburg: Ahriman, 2023, 806 S., Rezension von Rainer Neuhaus

Wenn wir mit dieser Buchempfehlung eine Ausnahme von unserem Prinzip machen, nur Werke zu besprechen, die sich direkt auf Voltaire und die Aufklärung beziehen, so liegt dies an der besonderen Bedeutung dieses Buches für alle, die der Aufklärung nahe stehen.
Hoevels verlässt mit diesem zweiten seines auf drei Bände konzipierten Hauptwerkes die engere ökonomische Marxismustheorie und weitet den Horizont hin zu einer welthistorischen Analyse der Ideologieproduktion, in marxistischer Diktion also des gesellschaftlichen Überbaus.

Vergleicht man das Werk mit dem Essay sur les Moeurs et l‘Esprit des Nations von Voltaire, in dem er dem Einfluss von Religion und Kirche auf unsere Kultur nachgeht, verfolgt Hoevels ein ähnliches Ziel, insbesondere aber das eine, Übersicht zu gewinnen und zu vermitteln über die Funktionsgrundlagen der europäischen Kultur. Und wie schon Voltaire, bezieht er die außereuropäische Kulturgeschichte ein, setzt sie in Bezug zu unserer europäischen, um diese besser verstehen zu können. Denn es ist der Vergleich, der allem wissenschaftlichen Denken den Weg weist.

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Priskil, Peter: „Zwölf Humanisten“, Der verdrängte Humanismus, II. Band, Freiburg: Ahriman, 2022, 616 S.; bereits 2019 erschien der 1. Band „Der verdrängte Humanismus“, 224 S.
Rezension von Rainer Neuhaus

Nach seiner Vorstellung der Karmaten als eine der ersten Gesellschaften, die ohne religiöse Bevormundung auskam (Die Karmaten, siehe die hier veröffentlichte Rezension), arbeitet der Historiker und Publizist Peter Priskil in seinem zweibändigen Werk in gewissermaßen archäologischer Feinarbeit heraus, welche Bedeutung der Humanismus und die in seinem Namen handelnden Personen für das Niederringen der christlichen Bevormundung in Europa und damit für die Aufklärung hatte. „Archäologische Feinarbeit“ ist das vor allem deshalb, weil die Suchgrabungen durch einen ungeheuren Wust von Schutt und Müll vorangetrieben werden müssen, der über die letzten Jahre leider nicht geringer wurde, sondern an Umfang und absichtlich gelegten falschen Fährten immer weiter zunahm.

„Priskil, Peter: „Zwölf Humanisten“, Der verdrängte Humanismus, II. Band, Freiburg: Ahriman, 2022, 616 S.; bereits 2019 erschien der 1. Band „Der verdrängte Humanismus“, 224 S.
Rezension von Rainer Neuhaus“
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Haupt, Klaus-Werner, Francesco Algarotti, Gelehrter, Connaisseur, Poet, Weimar: Bertuch 2021, 101 S.

Francesco Algarotti (1712-1764) war eine der zentralen Persönlichkeiten der europäischen Aufklärung. Als Sohn des vermögenden venezianischen Kaufmanns Rocco Algarotti war er unabhängig in finanzieller und geistiger Hinsicht. Er liebte seine Freiheit. Auf seinen ausgedehnten Reisen durch ganz Europa suchte er den Kontakt zu den wichtigsten Vertretern der Aufklärung und lebte einige Zeit am Hofe Friedrich II., wo er u.a. mit Voltaire zusammentraf. Sein Leben und sein Wirken sind heute leider fast vergessen.
Das kleine, sich an ein breiteres Publikum richtetende Büchlein von Klaus-Werner Haupt hätte daran etwas ändern können.
Um es vorweg zu sagen, der Autor hat diese Chance verpasst. Weder gelingt es ihm, Algarotti als Protagonisten der Aufklärung vorzustellen, noch entwickelt er auch nur ansatzweise Verständnis für die (auch für uns ausgefochtenen) Kämpfe der damaligen Zeit. Stattdessen verbreitet er Informationen über die bildende Kunst des 18. Jahrhunderts und den damaligen Kunsthandel, die zwar nicht uninteressant sind, aber nicht zum dem führen, wofür Algarotti steht: die Popularisierung der Lehren Issac Newtons. Worin die Sprengkraft Newtons bestand und weshalb die Schrift Algarottis Il Newtonianisme per le dame (1732) frz.: Le Newtonianisme pour les dames, ou Entretiens sur la lumière, sur les couleurs, et sur l’attraction (1738), dt. Newtons Weltwissenschaft für das Frauenzimmer oder Unterredungen über das Licht, die Farben und die anziehende Kraft (1745) für die Befreiung von der klerikalen Bevormundung von so großer Bedeutung war und ist, entgeht ihm vollkommen. Als Beleg sei diese peinliche Stelle aus dem Büchlein zitiert: „Der mit dem Tod des englischen Naturforschers einsetzende Marketingfeldzug machte vor dem Kontinent nicht Halt“ (S.12).
Auch von den anderen Schriften Algarottis erfährt man, außer dass sie geschrieben wurden, herzlich wenig. K.W. Haupt hätte ein anderes Buch schreiben sollen: über den Kunsthandel im 18. Jahrhundert und seine Protagonisten, zu denen Algarotti auch gehörte.

Kuschel, Karl Joseph, Goethe und der Koran, Patmos, 2021, 432 S.

Wieder ein Buch nach dem Schema: „Voltaire böse – NN. gut!“ Hauptsache es geht gegen die Symbolfigur der Aufklärung, da hält es der Theologe Herr Kuschel sogar mit Goethen. Eine sehr positive, lobende Rezension des Buches (Zitat: „Damit [ein geplantes, eigenes Mohammed Drama] wollte Goethe einen radikal anderen Akzent setzten als Voltaire, dessen ‚Mahomet‘-Tragödie eine gezielte Verleumdung des Propheten als gewissenlosem Betrüger auf die europäischen Bühnen brachte“) kann man sich hier auf der IslamIQ Seite zu Gemüte führen.

Schuchter, Bernd, Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie, Braumüller: Wien, 2018, 176 S.
– ein Buch gegen Voltaire und die engagierte Aufklärung.

Wer sich über La Mettrie informieren will, sollte nicht zu diesem Buch greifen, in dem man weder zusammenhängend erfährt, wie La Mettrie gelebt, noch was er gelehrt hat. Er sei ein ‚Meister der vorläufigen Meinung‘, ein Holist, und habe die These vertreten, dass es zum Glück des Menschen keine Theologie braucht, die seit Menschengedenken immer nur missbraucht (sic) worden sei, um Menschen zu unterjochen (160). Wieviel mehr wäre über La Mettries Lehre zu sagen, wie etwa, dass er der erste war, der in dem durch die Erziehung eingepflanzten Schuldgefühl eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit sah, oder dass er mit seinem Probedenken, eben gerade kein ‚Meister der vorläufigen Meinung‘ war, sondern vielmehr ein Meister freiheitlichen Denkens, der Phantasie, ein Vorläufer des Surrealismus gar. Und nicht zuletzt wäre er als vehementer Verteidiger der Sinnesfreuden, der Wollust, der Sexualität zu entdecken gewesen. Gerade um letzteres aber macht Schuchter einen riesigen Bogen.

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– ein Buch gegen Voltaire und die engagierte Aufklärung.“
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Matthias Wulfmeyer, Die Akte Voltaire, independently published, 2020, 200 S.

Akte Voltaire

Dass Voltaire wohlhabend, ja reich war, wissen viele. Woher er seinen Reichtum hatte, weiß – zumindest in Deutschland – fast niemand. Zwar gibt es dazu Fachliteratur*, aber wer liest schon Fachliteratur – und dazu noch auf Französisch! Diesen weißen Fleck zu schließen, ist die Idee hinter „Die Akte Voltaire“, einer ‚Abenteuergeschichte‘ von Matthias Wulfmeyer, die Ende 2020 erschienen ist. Die Geschichte geht so: Voltaire kommt 1729 von England aus der Verbannung genau in dem Jahr zurück, in dem der französische Staat in einer miserablen Finanzlage ist und zur Aufbesserung der Staatskasse eine große Lotterie ausruft.

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Voltaire: Philosophisches Taschenwörterbuch, nach der Erstausgabe von 1764 erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt von Angelika Oppenheimer […], Ditzingen: Reclam 2020, 444 Seiten.

Voltaire Philosophisches Taschenwörterbuch

Erstmals ist in deutscher Sprache das vollständige Philosophische Taschenwörterbuch Voltaires, eines der bedeutendsten Werke der Aufklärung, herausgegeben von unserer Voltaire-Stiftung, bei Reclam erschienen!

Als Voltaire 1764 sein Philosophisches Taschenwörterbuch anonym veröffentlichte, kam dieses Ereignis in der damals stark klerikal dominierten Welt einem Erdbeben gleich. Niemand hatte es bisher gewagt, die Kirche derart frontal auf allen wesentlichen Gebieten anzugreifen. Die Infame reagierte prompt, das Buch wurde ein Jahr später öffentlich in Paris verbrannt. Wer es besaß, lebte gefährlich, der Chevalier de La Barre zum Beispiel wurde nicht zuletzt deshalb 1769 in Abbéville auf dem Scheiterhaufen verbrannt; mit ihm verbrannte das Philosophische Wörterbuch, das die Schergen der Inquisition in seiner Bibliothek entdeckt hatten.

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Norbert Campagna, Rüdiger Voigt (Hrsg): Das Jahrhundert Voltaires. Vordenker der Europäischen Aufklärung, Baden-Baden: Nomos, 2020

In der Reihe ‚Staatsverständnisse’ herausgegeben im Nomos Verlag und mit den Artikeln zahlreicher Würdenträger (Professoren) bestückt, richtet sich das Buch möglicherweise vor allem an deren Studenten, denen man hier die „richtige“ Haltung für ihren zukünftigen Lebensweg weisen will. Soweit so klar. Den Anspruch, „in Zeiten, in denen das Vertrauen in die Vernunft zu schwinden scheint, … den Gedanken des großen Aufklärers nachzuspüren“ erfüllt dieser Band in keiner Weise, eher im Gegenteil: Bis auf wenige Ausnahmen scheint es eher darum zu gehen, den großen Aufklärer in Bausch und Bogen zu verdammen.

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H. J. Kertscher, Er brachte Licht und Ordnung in die Welt. Christian Wolff – eine Biographie, Halle: mdv, 2018

Christian Wolff: der vergessene Denker.

Die Lebensgeschichte Christian Wolffs ist heute nur noch sehr wenigen bekannt, und doch war er im 18. Jahrhundert einer der bedeutendsten Denker seiner Zeit. Deutschland: das Land der vergessenen Dichter und Denker?
Nicht zufällig hat die aufwendige Arbeit, die notwendig ist, will man eine Biographie wie diese schreiben, mit Prof. Dr. H. J. Kertscher ein bereits in der DDR habilitierter Wissenschaftler geleistet. Nicht zufällig, weil die Geisteswissenschaft in der DDR in ganz anderem Maß der Aufklärung verpflichtet war als in der BRD; Namen wie die von Werner Krauss, Klaus Gysi und viele andere stehen dafür. Deren Leistungen werden dereinst, wenn die Diffamierung der DDR nicht mehr zum guten Ton gehört, auch wieder gewürdigt werden, soviel steht schon heute fest.
Prof. Dr. Kertscher also ist es zu verdanken, dass seit langem wieder eine Biographie über Christian Wolff vorliegt, mit dem schönen Titel: „Er brachte Licht und Ordnung in die Welt, Christian Wolff – eine Biographie“ und, um es vorweg zu sagen, er hat seine Aufgabe – trotz aller unserer konzeptionellen Kritik (s.u.) – hervorragend gelöst.

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