Voltaire und Friedrich II – Literaturübersicht (kommentiert)

Die Beziehung – vielleicht Freundschaft zu nennen? – zwischen Voltaire und Friedrich hat die Zeitgenossen bewegt, aber auch seither viel Druckerschwärze verbraucht.
Diese Fragen beschäftigten die Experten am meisten:
– Hatte Friedrich oder Voltaire einen schlechten Charakter oder, falls beide, wer hatte den schlechteren?
– Wer verhielt sich in der Affäre um den Physiker Samuel König und den preußischen Akademiepräsidenten Maupertuis richtig?
– War Voltaires Aufkauf sächsischer Schuldscheine ein hinterlistiges Verhalten, mit dem er den ihm wohlgesonnenen König Friedrich hinterging?
– Waren Voltaires „Denkwürdigkeiten“, in denen er Friedrich nicht sehr vorteilhaft porträtierte, historisch korrekt oder hauptsächlich persönliche Verleumdung aus Rachegefühl?
– Hatte Friedrich Voltaire in Frankfurt zu recht inhaftieren lassen, trug also Voltaire an seinem Hausarrest selbst die Schuld, oder war es ein Racheakt Friedrichs an dem unbeugsamen Voltaire?
– War Friedrichs Nähe zur Aufklärung nur Propaganda und Selbstdarstellung oder entsprang sie ehrlicher Überzeugung?

Je nachdem, wie in den Jahrzehnten nach dem Tod der beiden in Deutschland die Regierungszeit Friedrichs gesehen wurde, glaubten die Schriftsteller verpflichtet zu sein, auch Voltaire einzuordnen: Sahen sie Friedrich positiv, präsentierten sie Voltaire negativ – und umgekehrt. Wir geben nachstehend Hinweise auf einige die in deutscher Sprache erschienenen Werke, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, und zwar ohne Anspruch, auch nicht annähernd, auf Vollständigkeit.

18. Jahrhundert
a) vor der französischen Revolution
Voltaire, Mémoires pour servir à la vie de M. de Voltaire, 1758f verfasst, jedoch erst 1784 veröffentlicht [dt.: Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Herrn Voltaire, aufgezeichnet von ihm selbst, Berlin: Das Neue Berlin, 1958]
Bestermann meint, „der Aussagewert der Memoires sei begrenzt“. Vor dem Hintergrund neuerer Forschungen ist dieser Aussagewert jedoch erstaunlich umfassend, auch wenn er Friedrich – ganz undiplomatisch – nicht gerade in bestem Licht zeigt.

Voltaire, Commentaire historique sur les oeuvres de l’auteur de la Henriade etc.  avec les pièces originales et les preuves. Basle [Genève], les héritiers de Paul Duiker, 1776, 282 pp.
Voltaire erwähnt hier nur den groben Ablauf der Entzweiung in Berlin, die er auf die Maupertuis-König Affäre zurückführt. Seine Haltung zu Friedrich ist versöhnlich und dankbar, was die Beteiligung an der Subskription für eine Voltaire-Skulptur bei Pigalle angeht und den Auftrag zu eine Voltairebüste aus Porzellan in der KPM.


19. Jahrhundert
a) um 1848, der deutschen bürgerlichen „Revolution“
Venedey, Jakob, Friedrich der Große und Voltaire, Leipzig: Heinrich Hübner 1859
Auf der Basis des Briefwechsels. Verarbeitet auch Briefe an Dritte. Bewertung der beiden Personen nach dem Schema: Friedrich unbedarft, gutherzig – Voltaire brilliant aber hinterlistig und intrigant, verräterisch, egoistisch. Typischer Vertreter der liberalen Märzbewegten.


20. Jahrhundert
a) nach 1918, Weimarer Republik
Hegemann, Werner (1881-1936), Der junge Friedrich (1930), Fridericus (1926)
Vor dem Hintergrund der Wiederaneignung und Heroisierung Friedrichs sucht Hegemann alles Schlechte an Friedrich, alles Verlogene an der Geschichtsschreibung geradezurücken. Es bleibt nicht allzu viel Gutes anvon ihm übrig. Was, von heute aus gesehen, sicherlich der Beiographie Friedrichs nicht gerecht wird. Vor allem der Vorwurf, er hätte das Französische auf Kosten des Deutschen (gegen den Vater) bevorzugt überzeugt nicht. Trotzdem sind die beiden Bücher lesenswert, vor allem unter dem Aspekt, was die anderen weggelassen haben, ist es interessant. So etwa Goethes. Haltung zu Friedrich, oder die Bismarcks.

Volz, Gustav, Berthold, Friedrich der Große und Wilhelmine von Baireuth, Jugendbriefe, 1728-1740, hrsg. v. Volz, Gustav Berthold, Leipzig: K.F.Köhler, 1924, 503 S.
Das Vorwort von Volz gibt ein gutes Bild über die Jugend Friedrichs und seiner Schwester Wilhelmine. Er zeigt, wie die beiden bereits 1734 guter Hoffnung waren, dass ihr Vater bald abdankt und wie sich Friedrich ab 1736 intensiv auf seine Rolle als späterer König vorbereitete.

b) BRD/DDR bis 1989

Fontius Martin, Voltaire in Berlin, Zur Geschichte der bei C.G. Walter veröffentlichten Werke Voltaire, Berlin: Rütten & Lönning, 1966
Fontius untersucht die Editionsgeschichte der Werke Voltaires und anderer Aufklärer, insbesondere auch die Bedeutung der Verleger, ihr Konkurrenzumfeld (insb. die holländische Dominanz im Buchwesen) und ermöglicht durch diese Beschränkung auf ein Detailthema tiefe Einblicke in die Zeitumstände. Die Arbeit ist unglaublich kenntnis- und materialreich.

Stade, Martin, Der König und sein Narr, Berlin: Der Morgen,, 1975
Der Roman fußt auf der wahren Geschichte des Präsidendten der Akademie der Wissenschaften, des Historikers Jacob Paul Gundling (1673-1731), den der Vater Friedrich II. zum Hofnarren machte. Der Roman zeigt besser als viele Biographien, in welche Welt Friedrich hineingeboren wurde.

Brockmeier, Peter, Desné, Roland, Voss, Jürgen, Voltaire in Deutschland, Stuttgart: Metzler, 1979, 536 S.
Texte im Rahmen eines internationalen Kolloquiums zum 200. Todestag in Mannheim.

Mittenzwei, Ingrid, (1929 – 2012), Friedrich II von Preußen, Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1979
Dieses Buch konnte nur in der DDR geschrieben werden und erscheinen. Mittenzwei urteilt über Friedrich aus seiner Zeit, beschreibt nicht nur Kriegsgeschick, sondern auch das Leid der Soldaten, die große Widersprücklichkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit dieses aufgeklärten Monarchen.

Mervaud, Christiane, Voltaire Et Frédéric II: Une Dramaturgie Des Lumières 1736-1778 (Oxford University Studies in the Enlightenment, Band 234)

Johannes Wills, Posthume Zeitgenossenschaft – Anmerkungen zur Rezeption Friedrichs II. von Preußen (1986)
Ist ein guter Überblicksartikel über die bisher nicht geschriebene Studie zur Rezeptionsgeschichte, die „im Grunde nichts anderes darstellt als die Dokumentation jener Pathogenese, mit der sich das politische Bewußtsein während der letzten 200 Jahre in Deutschland entfaltete“.


c) Ab 1989
Pleschinski, Aus dem Briefwechsel, Voltaire – Friedrich der Grosse, Zürich: Haffmanns 1992,
basiert auf Briefwechsel Friedrich des Großen mit Voltaire, Koser/Droysen) 1908-1917 (4 Bd.). Verdienstvolle und kommentierte Ausgabe des Briefwechsels mit manchmal seltsamen Lücken (so z.B. zur Thematik der Gelehrtenkolonie von Kleve, S.187).

Hinrichs, Ernst, Krebs, Roland, van Runset, Ute, Pardon, mon cher Voltaire,… Drei Essays zu Voltaire in Deutschland, Göttingen 1996

Fontius, Martin, Friedrich II. und die deutsche Aufklärung, Berlin, 1999

21. Jahrhundert

Kittsteiner, Heinz Dieter, Das Komma von Sans, souci 2001 Manutius, Heidelberg 2001, 91 S.
Sehr gute Analyse des Historikers, auf der Suche nach der Bedeutung der Inschrift. Aufschlussreich und ehrlich, wenn die Quellen etwas nicht hergeben.

Bronisch, Johannes, Der Kampf um Kronprinz Friedrich, Berlin: Landt, 2011
Aufschlussreiche Detailstudie zum vergeblichen Versuch der Wolffianer um Graf Ernst Christoph Manteuffel, Friedrich von Voltaire abzubringen und zu erreichen, dass er an Christian Wolff und dessen an Leibniz orientierter Philosophie festhält.

v. Stackelberg, Jürgen, Voltaire und Friedrich der Große, Wehrhahn Verlag, 2013
Ist an den Quellen orientiert, letztes Kapitel zu de la Barre + d’Etallonde;
versteht das Thema der Macht. Er vernachlässigt die Psychologie und das Netzwerk (Voltaire: Die Aufklärung hat 700 Personen in Frankreich, 12 davon mit Einfluss), die Bedeutung der finanziellen Unabhängigkeit, die Beziehung zu Mme v. Bentinck und ist auf deninneruniversitären Diskurs beschränkt.

Aufklärung, Interdisziplinäres Jahrbuch: Thema Christlob Mylius, München: Felix Meiner, 2019, 358 S.
Verdienstvoller Ansatz, Christlob Mylius als entschiedenen Verteidiger der Aufklärung (und Voltaires) in Erinnerung zu rufen, leider zu sehr „akademisch“ und daher wenig geeignet, außerhalb engster Fachkreise Aufmerksamkeit zu schaffen.

Sonstige:
Dilthey, Wilhelm, Friedrich der Große und die deutsche Aufklärung, Leipzig, 1927

Zeller, Eduard, Friedrich der Große als Philosoph, Berlin, 1886

Sexuality of Frederick the Great (Wikipedia)
Gibt einen Überblick über das Thema und Belege für die oft bestrittene Homosexualität Friedrichs des Großen.