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Candide ou l´Optimisme

Voltaires philosophischer Roman «Candide ou l´Optimisme» erschien 1759 anonym.  Von seinem Autor als trivialer Scherz verleugnet wurde Candide doch bald anerkannt, viel gelesen, belacht, verdammt, gelobt, interpretiert, illustriert, auf den Index gesetzt, mißverstanden und in seiner bleibenden Aktualität erst spät anerkannt.  Stilistisch und thematisch von souveräner Vielseitigkeit,die Geschichtliches, Philosophisches und Dichterisches vereint, ist die Geschichte der Abenteuer des gutgläubigen Candide in einer Welt wechselnder Realitäten und Utopien auf den ersten Blick ein gelungenen Spaß.  Sie beginnt im idyllischen Schloß des westfälischen Barons von Thunder ten Tronckh, wo Candide die orakelhaften Lektionen des Maître Pangloss zur „Meta-physico-theologo-cosmologo-nigologie“ sich zu Herzen nimmt, bis er wegen seiner verliebten Vertraulichkeiten mit Kunigunde, der Tochterdes Hauses, verjagt wird.  Allzu leichtfertig hat er seinem Lehrer Pangloss geglaubt, daß die Welt absolut gut sei und alles Geschehen unausweichlich zum besten Ende führen werde.  Nun wird er mit wechselndem Glück von einem Land ins andere getrieben, gerät in das Erdbeben von Lissabon und entkommt mit Mühe und halbtot geprügelt dem anschließenden Autodafé, das ein weiteres Beben der Erde verhindern soll; er lernt Machtgier, Grausamkeit, Feigheit und Undank kennen, erlebt Krankheit und Schiffbruch, fällt in die Hände von Piraten und muß sich an die Alltäglichkeit von Diebstahl, Vergewaltigung und Mord gewöhnen.  Immer wieder führt ihn der Zufall mit seinem optimistischen Lehrer Pangloss zusammen, der nicht aufhört, im größten Unglück a priori zu beweisen, daß alles zum Besten steht in der besten aller Welten; immr wieder begegnet er seiner geliebten Kunigunde, um sie meist gleich wieder an andere Entführer zu verlieren.  Nach weiten Reisen, die ihn bis zu den Kannibalen führen, gerät er, von Seeräubern bestohlen, nach Parisn darauf nach England und Venedig.  Er macht die Bekanntschaft des gelehrten Manichäers Martin, der im Gegensatz zu Pangloss ein gutes und ein böses Prinzip in der Welt am Werk sieht.  Eine weitere Weltanschauung bringt ihm der lebensmüde venezianische Edelmann Signor Pococurante bei, dessen raffiniertes Vergnügen darin besteht, an nichts Vergnügen zu finden.  Aber erst in Konstantinopel, wo er die häßlich und zänkisch gewordene Kunigunde freikauft, sie mit einiger Überwindung heiratet und mit ihr und allen Freunden eine kleine Meierei bezieht, lernt er am Beispiel eines alten Türken Arbeit als eigentliche Weisheit kennen, die das Leben erträglich macht und vor „Langeweile, Laster und Sorge“ bewahrt.

Die ostentativ-boshafte Lustigkeit täuscht nicht über die latente Problematik der Geschehnisse hinweg.  Voltaire orientiert sich am hellenistischen Trennungsroman (vgl. Heliodors Aithiopika oder Cervantes´ Trabajos de Persiles y Sigismunda), dessen peripetienreiche Handlungsführung in idealtypischer Weise das Spiel von Kontingenz und Vorsehung spiegelt und so die Theoreme der Aufklärung – den Glauben an die Maschinenwelt und die Mündigkeit des Individuums – anzuzweifeln erlaubt.  Hier wird nicht nur das politische und soziale Gefüge der Zeit angegriffen, sondern der Sinn des Lebens an sich mitsamt seinem Schöpfer in Frage gestellt.  Dennoch wäre es einfach, den Candide im Sinne seines Untertitels als satirische Attacke gegen den Optimismus und seine Kosmologie, gegen die Lehre von der Zweckmäßigkeit und deren Vertretern Leibniz, Wolff und Pope zu interpretieren.  Das Werk ist doppelsinnig und widersprüchlich, sowohl pessimistisch, zynisch und skeptisch als auch optimistisch.  Gutes und Böseshalten sich die Waage in der von Voltaire beschriebenen Welt.  Er entlarvt Utopien, Heilslehren und jedes Paradies auf Erden als Illusion und setzt nach kritischer Prüfung allen Seinsspekulationen den Mut zur Arbeit, wenn nicht als letzten Sinn des Lebens, so doch als Möglichkeit, es mit Würde zu bestehen, entgegen.