Voltaire vernebelt: Voltaires Fanatismuskritik in Zürich entschärft

Adaption von Voltaires Der Fanatismus oder Mohammed der Prophet im Volkshaus Zürich

Aufführung am 4.11.2017 (Prophet 3.0, Regie Andrej Togni). Besprechung der Erstaufführung.

Als die politisch-propagandistische Offensive des Islam unter aktiver Förderung der westlichen Regierungen in Europa begann, bewirkte vor 24 Jahren ein Genfer Stadtrat, daß die Aufführung von Voltaires Der Fanatismus oder Mohammed der Prophet abgesagt werden musste, ganz einfach dadurch, daß er der Schauspieltruppe die zugesagten finanziellen Mittel entzog. Um des lieben Friedens willen, sozusagen, denn auf den Straßen demonstrierten von den Brüdern Ramadan aufgestachelte Kopftuchfrauen. Die Absage führte zu erregten Debatten in der Genfer Bevölkerung, immerhin hätte das Stück zum 300. Geburtstag Voltaires gezeigt werden sollen. Das geschah 1993, wenige Jahre nach dem Mordaufruf Khomeinis gegen Salman Rushdie.

24 Jahre später spricht die Stadtpräsidentin Corine Mauch in Zürich bei dem sogenannten Denkfest des schweizerischen Freidenkerverbandes das Grußwort und Voltaires Mohammed soll unter dem Titel Prophet 3.0 öffentlich aufgeführt werden. Hat sich die Stimmung in der Schweiz mittlerweile so gewandelt, daß sich die islamistischen Fanatiker nicht mehr aus ihren Löchern trauen?

Das Gegenteil ist der Fall, gewandelt hat sich die Stimmung, aber zum Nachteil der Errungenschaften der französischen Revolution und zum Vorteil aller Dunkelmänner unserer Zeit. Regisseur Togni und Kollegen haben in vorauseilendem Gehorsam das Stück Voltaires durch eine Art Rahmenhandlung in einen wortreichen Vollnebel eingehüllt, der verhindern soll, daß die islamkritische Stimme Voltaires die Zuschauer erreicht.

Bereits in der Einführung des Übersetzers konnte dieser (Tobias Roth) nicht oft genug betonen, daß Voltaire mit Mohammed nicht Mohammed gemeint habe und daß sich das Stück in Wirklichkeit gegen die christliche Religion richte. Tatsächlich wußte zu Voltaires Zeit jedermann, wer mit Fanatismus gemeint war, eben nicht Mohammed, sondern die katholische Kirche mit ihrem Verfolgungswahn gegen die Protestanten in Frankreich. Aber genauso richtig ist es, daß ein Voltaire und mit ihm jeder aufgeklärte Mensch unserer Tage keinerlei Mühe hätte, den Fanatismus heute in den aktuellen Islamisten aller Couleur zu identifizieren. Und ein Scharlatan ist, wer anderes behauptet.

Voltaires Stück heute aufzuführen und die Fanatiker im Namen Mohammeds, ihre Angriffe auf die Errungenschaften der französischen Revolution überhaupt nicht zu erwähnen, mehr noch: sklavisch zu vermeiden, bedeutet zunächst einmal eine elende Kriecherei vor den islamistischen Halsabschneidern selbst. Doch damit leider nicht genug. Die Macher von Prophet 3.0 sind absichtlich bestrebt, all jene auszugrenzen, die es wagen, sich islamkritisch zu äußern. Diese betrieben „Islambashing“, trügen Scheuklappen heißt es in dem schmalen Programmheftchen zur Veranstaltung, um darüber hinaus die Opfer des Attentates gegen Charlie Hebdo dadurch zu verhöhnen, daß man ein schwarzes Rechteck mit dem hämischen Kommentar abdruckt, daß dort ja „Ihre Karikatur stehen könnte“ (also die der Islamkritiker):

(Aus dem Programmheft Prophet 3.0)

Worin besteht nun die Tognische Vernebelungsmethode – er selbst nennt sie „Verschränkung mit der Gegenwart“ in dem Stück Prophet 3.0? Passend zum Titel, als wäre sie direkt dem Internet entsprungen, besteht sie ganz einfach darin, möglichst viele, möglichst nur entfernt oder gar nicht zum Thema (hier Fanatismus) gehörende Fremdinhalte vorzubringen, um das Interesse des Zuschauers vom eigentlichen Feld abzuziehen und ihn so zu verwirren, daß sich in dem überfluteten menschlichen Gehirn kein einziger klarer Gedanke zum Thema Fanatismus mehr bilden kann: so wird erzählt, daß die USA ihre Munition in Schweinefleisch badeten , um den Muslimen besondere Angst zu machen, daß Frauen nicht baden dürften, weil das Wasser sie auch ‚unten herum‘ umfasse, daß Hunde und Musik als unrein gelten, daß die Großmutter der Protagonistin den Wasserhahn öffnete, um durch das Geräusch des fließenden Wassers ihre bösen Träume zu verscheuchen, daß in den Moscheen keine Bilder hängen, daß das früher anders war, daß die Religion von Männern erfunden, aber von Frauen aufrechterhalten werde. Es wird behauptet, daß Religion mit Humor verbunden, im Senegal zu einem erträglichen Zusammenleben verschiedener Glaubensrichtungen führe, ein Witz wird zum besten gegeben, usw. usf. Dazwischen Gesangseinlagen, schön vorgetragene iranische Lieder, aber auch Suren aus dem Koran, die man ohne Furcht, antislamisch genannt zu werden, harmlos wie sie waren, ins Deutsche übersetzen konnte.
Kein einziges Wort zu den Fanatikern unserer Tage und den Ursachen für die Blutspur, die sie durch Europa ziehen.

Nur dadurch, daß der Text Voltaires weitgehend unverfälscht wiedergegeben wurde, war erstaunlicherweise – auch durch die schauspielerische Leistung von M. Löwensberg, das sei hier hervorgehoben – die Stimme Voltaires durch die ganze Tognische Nebelfront hindurch überhaupt noch vernehmbar. Wie Löwensberg das „Du wagst zu denken? Das hat mit Glauben nichts zu tun! Zu schweigen, zu gehorchen, das sei allein dein Ruhm“ skandierte, ging unter die Haut. Nur die Antwort Saïds, von R.Schnoz äußert nachlässig und schnodderig heruntergespielt, war alles andere als glaubwürdig, womit der Effekt, der darin bestehen könnte, die grauenhafte Wendung Saïds zum Fanatiker zu erleben, zu begreifen, buchstäblich verspielt wurde.

An dieser zentralen Stelle des Stücks bietet sich ein vergleichender Blick auf die Übersetzung von Tobias Roth und die von Togni & Co vielgeschmähte Johann Wolfgang von Goethes an. Wenn Mohammed die Zweifel Saïds an seinem Mordauftrag sofort kontert und ihn mit:

Téméraire, On devient sacrilège alors qu'on délibère.
Loin de moi les mortels assez audacieux
Pour juger par eux-mêmes, et pour voir par leurs yeux !

attackiert, übersetzt das Goethe folgendermaßen:

Verwegener, halt!
Wer überlegt, der lästert! Fern von mir
vermessener Sterblichen beschränkter Zweifel,
die eignen Augen, eignem Urteil traun!

und wird daraus bei Roth:

Verwegener, man
versündigt sich, wenn man hier noch erwägen kann.
Sie seien fern von mir, die Menschen, die da meinen
sie könnten selber sehen, selber urteilen.

Das ist nicht unbedingt schlecht, nur an dieser zentralen Stelle der Tragödie ist Roths Übersetzung weitaus weniger kraftvoll (statt lästern: „versündigen“, statt Zweifel: „erwägen“ und das audacieux, bei Goethe „vermessen“, fällt bei Roth ganz durch das alexandrinische Raster) und schwächt dadurch die Wirkung der wichtigen Schlüsselszene ab.

Immerhin antwortete Roth einem Zuschauer im anschließenden Publikumsgespräch auf dessen Empfehlung, den Text Voltaires so zu modernisieren, daß er sich nicht so stark von der Sprache Tognis in der Rahmenhandlung unterscheide, das werde er nicht tun, denn schließlich sei er Voltaire und nicht Togni verpflichtet.

Das Publikum sah sich beim Publikumsgespräch, passend zur Methode 3.0, zum Statisten, Stichwortgeber degradiert, die Zeit war für eine Diskussion selbstverständlich zu knapp, Unterstützer für irgend einen freidenkerischen Kampf gegen den Fanatismus suchte man ohnehin nicht, so war man eher froh, als man die leidige Pflicht hinter sich gebracht und die Leute hinauskomplimentiert hatte.

Um das ganze Ausmaß des Niedergangs zu veranschaulichen, seien aus den Äußerungen der Podiumsteilnehmer abschließend einige Zitate im Wortlaut wiedergegeben. Sie zeigen, wie und in welche Richtung sich mittlerweile, 28 Jahre nach dem Mordaufruf Khomeinis gegen Salman Rushdie, die Stimmung in der Schweiz und in Europa verändert hat:

Togni: „Das Stück hat mich interessiert, ich habe mich gefragt, soll ich es machen? Aber nur unter der Bedingung, daß ich es mit der Gegenwart verschränken kann. Es war mir ein Anliegen, erstens, eben diesen Bezug zur Gegenwart herzustellen und zweitens herauszuarbeiten, daß es nicht um Islambashing geht, sondern wirklich darum, einen Focus zu legen auf die Gemeinsamkeiten von allen Religionen.“

Löwensberg (Darsteller von Mohammed und Omar): „Ich hatte meine Zweifel: Ist es richtig, einen Mohammed zu zeigen, der so schlecht und so fies ist, zu einem Vatermord anstiftet. Ist es richtig, eine ganze Religion, so viele Millionen Moslems die da ihren Propheten in den Dreck gezogen sehen [zu provozieren]?“

Zarina Tagjibaeva: (Darstellerin der Palmyre): „Ich wollte nicht mit dem Finger auf den Islam zeigen.., ich komme aus einer muslimischen Familie…Ich hatte wirklich Sorge: ursprünglich wollte man den Namen des Stückes behalten, also Fanatismus oder Mohammed, ich fand das zu sehr auf Mohammed bezogen, habe dann eigentlich wirklich darauf beharrt daß man Prophet 3.0, daß man das behält.“

Tagjibaeva: „Uns allen ging es bei diesem Stück nicht wirklich um den Islam, sondern es ging um die Religion als solche … ich finde, der Glaube ist etwas Persönliches, man muss für sich glauben und soll die Anderen in Ruhe lassen.“

Togni: „Ich habe dann auch noch Islamspezialisten kontaktiert und sie gebeten, mir eine Riskoeinschätzung zu geben und die haben mir eigentlich gesagt: besser nicht Mohammed im Titel. Die haben mir gesagt, sie schätzen das Risiko ansonsten nicht so hoch ein.“

Rainer Neuhaus

Artikel als pdf herunterladen