Voltaire und Lucilio Vanini, am 9.2.1619 von der katholischen Inquisition verbrannt

Lucilio Vanini (1585, Taurisano – 9. Februar 1619 in Toulouse), italienischer Theologe und Naturphilosoph, wurde am 9. Februar 1619 von der katholischen Inquisition in Toulouse bestialisch hingerichtet. Sein Verbrechen: Er vertrat eine pantheistische Naturphilosophie. derzufolge Gott in und durch die Natur wirkt, sich in den materiellen und geistigen Dingen der Welt manifestiert. Eine Lehre, die von der Kirche als atheistisch und blasphemisch verurteilt wurde.

Die Verurteilung Vaninis ist für Voltaire ein Jusitzmord, ein Beispiel der grausamen Verfolgungsbereitschaft des Christentums überhaupt. Er widmet Vanini und seinem schrecklichen Schicksal eine längere Passage in dem Artikel ‚Athée-Atheisme‘ des Philosophischen Taschenwörterbuchs, ein ganzes Kapitel in seinen Briefen über Rabelais und kommt in seiner Korrespondenz immer wieder auf diesen Fall zu sprechen. Vanini gehört für ihn zum Kreis der „Märtyrer der Aufklärung“, deren Namen er immer wieder erwähnt. In seinen Äußerungen zu Vanini unterläßt es Voltaire niemals, darauf hinzuweisen, dass er kein Atheist war, dass man ihn nicht deshalb, sondern wegen eines konstruierten Vorwurfs verurteilte, vielleicht wegen einer Intrige, oder weil er zuhause eine lebende Kröte im Aquarium hielt. Man sieht: Voltaire wollte aus Sicherheitsgründen mit den Lehren Vaninis, denen er teilweise sehr nahestand, nicht zu sehr in Verbindung gebracht werden.

Wer war Lucilio Vanini?

Leben und Werk

Mit 18 Jahren (1603) trat Lucilio Vanini in den Karmeliterorden ein, am 6. Juni 1606 promovierte er an der Universität Neapel zum Doktor des kanonischen und bürgerlichen Rechts. 1608 lebte er im venezianischen Padua und stellte sich in der Auseinandersetzung wegen des päpstlichen Inderdikts von 1606 auf die Seite Venedigs. Folglich befahl ihm der Generalprior seines Ordens, Enrico Silvio, nach Neapel zurückzukehren, um ihn dort zur Rechenschaft zu ziehen – eine Untersuchung, die er womöglich nicht überlebt hätte.  Vanini emigrierte nach London, wo er  1612 zum anglikanischen Glauben übertrat.

1613 wollte Vanini aber als weltlicher Priester wieder in die katholische Kirche aufgenommen werden. Sein Antrag wurde zwar vom Papst positiv beschieden, jedoch war daran die Bedingung einer internen Überprüfung geknüpft und führte für Vanini in England zu Problemen, er wurde dort inhaftiert und nur mit Hilfe des Botschafters von Venedig konnte er aus dem Gefängnis nach Frankreich entkommen.

Vanini beging den Fehler, sich der Inquistion zu stellen, um die Aufrichtigkeit seiner Rückkehr zum katholischen Glauben zu beweisen und reiste nach Rom. Als er die ihm dort drohende Gefahr erkannte, floh er erneut nach Frankreich. Er veröffentlichte in Lyon im Juni 1615 ‚Amphitheatrum‘, ein Buch gegen den Atheismus, von dem er hoffte, dass es seinen Namen bei den römischen Behörden reinwaschen würde.

Offenbar fühlte er sich sicher genug, um 1616 sein eigentliches Werk, ‚De Admirandis‘, zu veröffentlichen. Er ließ es von zwei Theologen der Sorbonne genehmigen. De Admirandis war eine Zusammenfassung des neuen Wissens und wurde zu einer Art Manifest für kulturelle Freigeister. Das gab Vanini die Möglichkeit, am französischen Hof Kontakte zu knüpfen.

De Admirandis Naturae Reginae Deaeque Mortalium Arcanis (mögliche Übersetzung: „Über die wunderbaren Geheimnisse der Natur, die Königin und Göttin der Sterblichen“), gedruckt 1616 in Paris vom Verleger Adrien Périer, in vier Bücher unterteilt: Auf Himmel und Luft/Zu Wasser und zu Land/Über Tiere und Leidenschaften/Über nichtchristliche Religionen, enthält insgesamt 59 Dialoge die zwischen dem Autor in der Rolle des Wissensverbreiters und einem imaginären Alessandro stattfinden.

Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Werkes wurden jedoch die beiden Theologen der Sorbonne, die Vanini ihre Zustimmung gegeben hatten, von der Theologischen Fakultät in einer formellen Sitzung gerügt, was zu einem faktischen Verbot des Textes führte und Vanini selbst zu einem ‚gefährlichen Kontakt‘ machte. Sein Handlungsspielraum schrumpfte und seine Versuche, einen festen Platz in der französischen Gesellschaft zu finden, waren gescheitert.

Aus Angst, dass in Paris ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet werden könnte, floh er und tauchte in der Abtei Redon in der Bretagne unter. In den folgenden Monaten hielt er sich in einigen Städten von Guyenne, dann im Languedoc und schließlich in Toulouse auf. Seine Anwesenheit blieb dort jedoch nicht unbemerkt. Im August 1618 wurde er festgenommen und verhört. Im Februar 1619 befand ihn das Parlament von Toulouse des Atheismus und der Blasphemie für schuldig. Ihm wurde die Zunge herausgeschnitten, er wurde öffentlich erwürgt und sein Körper anschließend auf einem Scheiterhaufen verbrannt.

Vaninis Lehre

Vom Himmel her in Flammen zurück, das Haupt
Der Lästerer zu treffen und riefst dem Sturm;
Daß er die Asche der Barbaren
Fort aus der Erd, aus der Heimat werfe!

Vanini war Vorläufer einer materialistischen Beschreibung des Universums, den menschlichen Körper vergleicht er mit einem Uhrwerk und das ptolemäische System lehnt er zugunsten des heliozentrischen, kopernikanischen Systems ab. Seine Weltanschauung basiert auf der Annahme der Ewigkeit der Materie und eines Gottes, der die Natur als eine „Kraft“ formt, ordnet und lenkt. Die wahre Religion ist daher eine „Religion der Natur“, die Gott nicht leugnet, sondern ihn als Geistkraft betrachtet. Er leugnet die Schöpfung aus dem Nichts und die Unsterblichkeit der Seele, wie sie die Kirche lehrte. Wenn er argumentiert, dass die Tierarten durch spontane Erzeugung aus der Erde entstehen und sagt, dass der Mensch von „Tieren kommt, die mit dem Menschen verwandt sind,  wie die Berberaffen, die Affen und Affen im Allgemeinen“, ist er ein Vorläufer des Darwinismus. Das Denken von Vanini ist ziemlich fragmentiert und spiegelt auch die Komplexität seiner Ursprünge wider, da er eine religiöse Figur, ein Naturforscher, aber auch ein Arzt und teilweise ein Magier war. Was seine Prosa betrifft, so ist sie vehement antiklerikal. Die Schöpfer der drei monotheistischen Religionen, Moses, Jesus und Mohammed, hält er für nichts anderes als Betrüger.
In seiner Verteidigungsrede vor Gericht, mit der er beweisen will, dass er die Existenz eines Gottes keinesfalls bestreitet, zeigt die Passage vom Samenkorn seine Denkweise:

„Das Korn, zu Boden geworfen, scheint zunächst zerstört es beginnt auszubleichen, dann aber wird es grün, erhebt sich von der Erde, wächst bemerkenswert. Das Gießen hilft ihm, sich zu erheben, der Regen verleiht ihm zusätzliche Kraft. Es umgibt sich mit Stacheln, um die Vögel fernzuhalten. Der Stengel wächst, bringt Blätter hervor, wird gelb, wächst noch höher. Kurz danach beginnt er sich zu senken bis er schließlich abstirbt. Wird das Korn herausgeschüttelt und vom Stroh getrennt, dient es zur Nahrung der Menschen, jenes als Futter der Tiere, die den Menschen zu nutzen gegeben sind.
Wenn die Natur dieses Korn geschaffen hat, wer schuf dann dieses andere Korn, das ihm unmittelbar voranging? Wenn auch dieses Korn von der Natur geschaffen wurde, kommt man auf ein weiteres, bis man schließlich das allererste erreicht, das zwangsläufig geschaffen werden musste, da man keinen anderen Ursprung seiner Entstehung finden kann“.


Vaninis Name war – anders als der Giordano Brunos – weitgehend vergessen, bis Voltaire seinen Artikel Atheismus schrieb. So konnte Friedrich Hölderlin ihm zu Ehren sein eindrucksvolles Gedicht verfassen:

Vanini
Den Gottverächter schalten sie dich? mit Fluch
Beschwerten sie dein Herz dir und banden dich
Und übergaben dich den Flammen,
Heiliger Mann! o warum nicht kamst du

Vom Himmel her in Flammen zurück, das Haupt
Der Lästerer zu treffen und riefst dem Sturm;
Daß er die Asche der Barbaren
Fort aus der Erd, aus der Heimat werfe!

Doch die du lebend liebtest, die dich empfing,
Den Sterbenden, die heilge Natur vergißt
Der Menschen Tun und deine Feinde
Kehrten, wie du, in den alten Frieden.


Quellen

o Engl. Artikel Vanini Wikipedia (der Auszug auf Deutsch ist unbrauchbar)
o Foucault, Didier, Un philosophe libertin dans l’Europe baroque : Giulio Cesare Vanini (1585-1619), Honoré Champion, 2003, 785 p
o Namer, Emile, La Vie et L’Oeuvre de J.C Vanini, Princes des Libertins mort a Toulouse sur le bucher en 1619, 1980
o Vaninis Verteidigungsrede bringt Veyssière de la Croze in seinen Entretiens sur divers sujéts d’histoire.. (1733) , S 368f.

o Vanini in Frankreich zum Stand der Forschung (frz., 2012)