Was die Kirchen ärgert – Die Verteidigung des Luxus bei Voltaire

Die Debatte über den Luxus

Mandeville verteidigt in seiner berühmten ‚Bienenfabel’ (London 1723) nicht nur den Luxus – er versteht darunter alles, was über das Lebensnotwendige hinausgeht – und bewertet ihn als für die Gesellschaft positiv, denn im Überfluss und nicht im Mangel sieht er den Anstoß für die Entwicklung der Menschheitsgeschichte. Er verteidigt über den Luxus hinaus sogar die menschlichen ‚Laster‘ überhaupt gegen eine puritanische, genussfeindliche Moral. Es war Voltaires Lebensgefährtin Émilie du Châtelet, die die Bienenfabel erstmalig ins Französische übersetzte.

Luxus, was im Lateinischen ‚Verschwendung, Liederlichkeit‘ bedeutet, hat diesen Makel behalten und bis heute soll man Wohlstand und gutes Leben nur mit einem ordentlich schlechten Gewissen genießen dürfen. Angefangen vom persönlichen Schmuck über erlesene Speisen und alkoholische Getränke bis hin zu sündhaft teuren Fahrzeugen – all dies ist von Übel und wer es begrüßt, ist ein Feind des Volkes und Verschwender. Stattdessen soll man bescheiden leben, den Ertrag seiner Arbeit nützlich anlegen (reinvestieren) und vermehren und nichts im Konsum nutzloser Güter verschwenden. Dass vor solchem Hintergrund auch die Kunst keine positive ‚Weiterführungsprognose‘ besitzt, liegt auf der Hand.

Mme du Châtelet – soviel steht fest – war die Verteidigung des Luxus sympathisch, gehörte sie doch zur Hocharistokratie und besaß reichlich Schmuck und war auch sonst eine ausgesprochene Genießerin und das war Voltaire wiederum sympathisch. Überhaupt verteidigten die französischen Aufklärer in ihrer Glanzzeit den Luxus, jedoch nicht wie Mandeville, der einer bigotten Moral einfach ihr Spiegelbild vorhielt, sondern indem sie zu zeigen versuchten, dass Luxus für die Gesellschaft überhaupt nicht schädlich, sondern sogar besonders nützlich sei. Folgendes waren ihre Positionen:

o Damit sich die Gesellschaft weiterentwickelt, muss mehr hergestellt werden, als man zum puren Leben braucht. Die Ungleichheit der Gesellschaftsmitglieder ist zunächst notwendig, denn sie schafft für einige die Möglichkeit, Kunst und Wissenschaft – Luxus – zu entwickeln und zu genießen, damit aber den Fortschritt für alle erst möglich zu machen.

o Die Gesellschaft sollte versuchen, die Ungleichheit zu reduzieren, denn desto mehr ihrer Mitglieder am Luxus teilhaben können, desto besser für die Gesellschaft und ihre Weiterentwicklung.

o Die Verderbtheit der Sitten resultiert nicht aus dem Luxus, sondern aus der zu großen Ungleichheit in der Verteilung des Reichtums einer Gesellschaft. Wer das Gegenteil behauptet, verdreht Ursache und Wirkung.

o Selbst der extrem Reiche, der in den Luxus investiert, bewirkt Gutes für die Gesellschaft, denn damit fördert er Kunst und Handwerk, ganz anders, wenn sein Geld in Klöster, Tierparks oder andere, nicht produktiv wirkende Dinge fließt, das erst bedeutet wirkliche Verschwendung.

o Luxus (der Genuss desselben) besänftigt die Seele und die Leidenschaften und veredelt die Umgangsformen. (nach dem Vorwort der Kehler Ausgabe der Werke Voltaires zu Le Mondain)

Natürlich hatte die Monarchie keine Freude an solchen Debatten, die mit dem Luxus begannen, ihn verteidigten, aber sich, indem sie ihn verteidigten, über die Ungleichheit in der Gesellschaft Gedanken machten und schließlich den Luxus gar möglichst Vielen zugänglich machen wollten. Nicht alle sahen das so gelassen wie M. de Melon, ehemals Sekretär beim königlichen Regenten Philippe d’Orléans, der sich in einem Brief über Voltaires Gedicht Le Mondain so äußerte:

M. de MELON A MADAME LA COMTESSE DE VERRUE SUR L’APOLOGIE DU LUXE.

J’ai lu, madame, l’ingénieuse Apologie du luxe; je regarde ce petit ouvrage comme une excellente leçon de politique, cachée sous un badinage agréable. Je me flatte d’avoir démontré, dans mon Essai politique sur le commerce combien ce goût des beaux-arts et cet emploi des richesses, cette âme d’un grand État qu’on nomme luxe, sont nécessaires pour la circulation de l’espèce et pour le maintien de l’industrie; je vous regarde, madame, comme un des grands exemples de cette vérité.Combien de familles de Paris subsistent uniquement par la protection que vous donnez aux arts? Que l’on cesse d’aimer les tableaux, les estampes, les curiosités en toute sorte de genre, voilà vingt mille hommes, au moins, ruinés tout l’un coup dans Paris, et qui sont forcés d’aller chercher de l’emploi chez l’étranger. Il est bon que dans un canton suisse on fasse des lois somptuaires, par la raison qu’il ne faut pas qu’un pauvre vive comme un riche. Quand les Hollandais ont commencé leur commerce, ils avaient besoin d’une extrême frugalité; mais à présent que c’est la nation de l’Europe qui a le plus d’argent, elle a besoin de luxe.

Madame, Ich habe die geschickte Verteidigung des Luxus gelesen, ich halte dieses kleine Werk für eine ausgezeichnete politische Lektion, die sich hinter einem angenehmen Plauderton verbirgt. Ich kann mir schmeicheln, in meinem Essay über die Wirtschaft gezeigt zu haben, wie sehr der Gefallen an den schönen Künsten und der Gebrauch der Reichtümer, diese Seele eines bedeutenden Staatswesens, die man Luxus nennt, notwendig sind für die Kreisläufe des Geldes und zum Erhalt der Wirtschaft; ich betrachte Sie, Madame als eines der großen Beispiele dieser Wahrheit. Wieviele Pariser Familien überleben ausschließlich durch die Unterstützung, die Sie der Kunst gewähren? Würde man aufhören, Gemälde zu lieben, wertvolle Drucke, interessante Gegenstände aller Arten, zwanzigtausend Menschen in Paris wären mit einem Male ruiniert und wären gezwungen, in der Fremde Arbeit zu suchen. Es ist richtig, dass ein schweizer Kanton Gesetze zur Sparsamkeit erließ, denn es kann nicht sein, dass ein Armer wie ein Reicher lebt. Als die Holländer am Anfang ihrer Handelstätigkeit standen, hatten sie eine extrem Genügsamkeit nötig, aber wenn wir es hier mit der Nation in Europa zu tun haben, die am meisten Geld besitzt, braucht sie den Luxus.

Le Mondain –  Das Gedicht zur Verteidigung des Luxus

Voltaire hat dieses Gedicht zur Verteidigung des Luxus geschrieben, als er sich schon im Exil in Cirey sur Blaise befand. Nach Cirey -er lebte dort mit Emilie du Châtelet im Schloß ihres Mannes -war er 1734 geflohen, um sich der Verfolgung zu entziehen, die ihm seine ‚Lettres philosophiques’ zugezogen hatten. In diesem Werk vergleicht und kritisiert er unter anderem die französischen Zustände der Glaubensverfolgung mit der in England praktizierten Toleranz gegenüber Minderheitsreligionen.

Kaum war Voltaires Gedicht erschienen, als es schon abgeschrieben und in den Salons vorgelesen wurde, es zirkulierte in den aufgeklärten Kreisen und provozierte die klerikalen. Alle Veröffentlichungen mussten damals den Stempel des obersten Zensors tragen, ein Amt, das von 1726 bis zu seinem Tod 1743 faktisch der Premierminister Kardinal André-Hercule de Fleury innehatte. Für ‚Le Mondain’ hat Voltaire diesen Stempel allerdings nicht erhalten, stattdessen drohte ihm dafür ein Haftbefehl, was mit seiner Respektlosigkeit gegenüber Adam und Eva zusammenhing, denn es heißt in dem Gedicht über die beiden:

Seide und Gold glänzten für sie nicht,
Bewundert Ihr dafür unsere Vorfahren?
Es fehlte ihnen Handwerk und Wohlstand:
Ist das Tugend? Es war reine Unwissenheit.
Welcher Narr würde, hätte er für eine Weile
ein gutes Bett gehabt, draußen schlafen?
Mein lieber Adam, mein Vielfraß, mein guter Vater
was machtest du im Garten Eden?
Arbeitetest Du für diese einfältige menschliche Rasse
Liebkostest du Frau Eva, meine Mutter?     

Gebt mir zu, dass ihr alle beide
lange Fingernägel hattet, etwas schwarz und schmutzig,
die Haare wenig geordnet,
der Teint gebräunt, die Haut verschmutzt und verwittert.
Ohne Sauberkeit ist die glücklichste Liebe
keine Liebe mehr, sondern ein schändliches Bedürfnis.
Bald ermüdet von ihrem schönen Abenteuer,
speisen sie herrschaftlich unter einer Eiche,
mit Wasser, Hirse und Eicheln;
das Mahl beendet, schlafen sie auf harter Erde:
Dies ist der Zustand der reinen Natur!

Voltaire floh über die nahe Grenze nach Holland, musste dort zwei Monate bleiben, wo er sich im übrigen prächtig amüsierte, denn alle Welt wollte ihn zum Bekannten haben und seine Theaterstücke sehen, außerdem arbeitete er in Amsterdam an der Herausgabe seiner gesammelten Schriften. Nachdem Gras über die Sache gewachsen war, konnte er, einflussreiche Freunde hatten sich für ihn eingesetzt, im Februar 1737 nach Cirey zurückkehren. In dieser Zeit tat sich für ihn auch eine neue Perspektive auf, denn er hatte den ersten Brief eines jungen Mannes erhalten, der später die europäische Geschichte maßgeblich beeinflussen sollte: es war der erste von vielen weiteren, schmeichelnden und lobenden Briefen aus der Feder Friedrich II, damals noch Kronprinz von Preußen, die schließlich Voltaires Übersiedlung nach Berlin in den Jahren 1750-52 bewirkten.

Doch sehen wir zunächst das Gedicht in der Übersetzung aus dem sehr zu empfehlenden Voltaire-Lesebuch von Martin Fontius, es ist eine gereimte Übertragung ins Deutsche, an der man, so flüssig sie auch ist, trotzdem bemängeln muss, daß sie hier und da versucht, Voltaire zu glätten. So übersetzt Fontius den Vers Sans propreté l’amour le plus heureux  N’est plus amour, c’est un besoin honteux flüssig: Wie glücklich auch die Neigung – wo’s gebricht an Reinlichkeit, ist’s Notdurft, Liebe nicht. Doch es heißt bei Voltaire eben nicht Neigung, sondern Liebe und er meint damit kein romantisches Schmachten, sondern körperliche Liebe in drastischer Klarheit: Ohne Sauberkeit ist die glücklichste Liebe keine Liebe mehr, sondern ein schändliches Bedürfnis.  Nur so ist zu verstehen, warum er wegen dieser Passage verfolgt und der Gotteslästerung beschuldigt wurde. Man vergleiche die wörtliche Übersetzung dieses Abschnittes oben mit der entsprechenden (kursiv gedruckt) in der Version von Fontius, er malt eine Schäferidylle, wo Voltaire das sogenannte Paradies mit der Realität eines unzivilisierten Lebens konfrontiert – und karikiert

Regrettera qui veut le bon vieux temps 
Et l’âge d’or, et le règne d’Astrée,  
Et les beaux jours de Saturne et de Rhée, 
Et le jardin de nos premiers parents; 
Moi, je rends grâce à la nature sage
Qui, pour mon bien, m’a fait naître en cet âge
Tant décrié par nos tristes frondeurs
Ce temps profane est tout fait pour mes moeurs.
J’aime le luxe, et même la mollesse,
Tous les plaisirs, les arts de toute espèce,
La propreté, le goût, les ornements:
Tout honnête homme a de tels sentiments
Betraure, wer da will, die gute alte Zeit,
Das goldne Alter und Asträas Walten,
Saturns und Rheas segensreiches Schalten,
Den Garten, dessen Adam sich erfreut.
Ich dank~ der Natur, die weisheitsvoll
Zu meinem Wohl mich jetzt hervorgebracht,
Indieser Zeit, die leidlich gut gemacht:
Den tristen Tadlern gilt sie als frivol,
Doch meiner Lebensart ist sie genehm.
Ich liebe Luxus, üppig und bequem,
Die Künste, das Vergnügen, Reinlichkeit:
Ein jeder Ehrenmann sich daran freut.
il est bien doux pour mon coeur très immonde  
De voir ici l’abondance à la ronde,  
Mère des arts et des heureux travaux,  
Nous apporter, de sa source féconde,  
Et des besoins et des plaisirs nouveaux.  
L’or de la terre et les trésors de l’onde,  
Leurs habitants et les peuples de l’air,  
Tout sert au luxe, aux plaisirs de ce monde.
O le bon temps que ce siècle de fer!
Mein Herz, das freilich unrein, ist entzückt
Vom Überfluß, der uns ringsum beglückt:
Er ist der .Künste Hort, des Schönen Quelle,
Die neue Freuden bringt und Wünsche weckt.
Der Erde Gold und das der Meereswelle,
Was sie bewohnt und was darinnen steckt
Sowie auch alles, was in Küften schwebt –
es dient dem Luxus, des Vergnügens Zweck:
Wie gut es sich im Eisenalter lebt!
Le superflu, chose très nécessaire
A réuni l’un et l’autre hémisphère.  
Voyez-vous pas ces agiles vaisseaux  
Qui, du Texel, de Londres, de Bordeaux,  
S’en vont chercher, par un heureux échange,  
De nouveaux biens, nés aux sources du Gange, 
Tandis qu’au loin, vainqueurs des musulmans, 
Nos vins de France enivrent les sultans?  
Quand la nature était dans son enfance,  
Nos bons aïeux vivaient dans l’ignorance 
Ne connaissant ni le tien ni le mien.
Das Überflüssige, nicht zu entbehren,
Verbindet jetzt die beiden Hemisphären.
Unzählige schnelle Schiffe seht ihr froh
Von Texel abgehn, London und Bordeaux
Um Güter, die von Ganges‘ Ursprung kommen,
Günstig für uns ertauscht, indes die Frommen
Des Mohammed von Frankreichs Wein besiegt
Und mancher Sultan selig trunken liegt.
Voreinst, im Kindesalter der Natur,
Schwant‘ unsern guten Ahnen keine Spur
Von einem Mein, sie wußten nichts vom Dein.
Qu’auraient-ils pu connaître? Ils n’avaient rien, 
Ils étaient nus; et c’est chose très claire
Que qui n’a rien n’a nul partage à faire.
Sobres étaient. Ah! je le crois encore:
Martialo n’est point du siècle d’or.
D’un bon vin frais ou la mousse ou la sève
Ne gratta point le triste gosier d’Ève;
La soie et l’or ne brillaient point chez eux,
Admirez-vous pour cela nos aïeux?
Il leur manquait l’industrie et l’aisance:
Est-ce vertu? c’était pure ignorance.
Quel idiot, s’il avait eu pour lors 
Quelque bon lit, aurait couché dehors? 
Wie konnte es für sie wohl anders sein?
Sie hatten nichts, sie waren nackt; ’s ist klar:
Was sie nicht hatten, nicht zu teilen war.
Sie lebten mäßig, ja, ich glaube heut
Martialo war kein Koch der goldnen Zeit.
Und keines feurig-frischen Weines Schaum 
Letzt‘ je der Eva freudelosen Gaum.
Auch glänzte Seide, Gold den Ahnen nie:
Hegt deshalb ihr Bewunderung für sie?
Von Kunstfleiß, Wohlstand fehlte jede Spur.
Gilt das für Tugend? Ignoranz war’s nur.
Und welcher Narr, wenn er’s gehabt nur hätte,
Schlief damals draußen, nicht in seinem Bette?
Mon cher Adam, mon gourmand, mon bon père
Que faisais-tu dans les jardins d’Éden?
Travaillais-tu pour ce sot genre humain?
Caressais-tu madame Ève, ma mère?
Avouez-moi que vous aviez tous deux
Les ongles longs, un peu noirs et crasseux,
La chevelure un peu mal ordonnée,
Le teint bruni, la peau bise et tannée.
Sans propreté l’amour le plus heureux
N’est plus amour, c’est un besoin honteux. 
Bientôt lassés de leur belle aventure, 
Dessous un chêne ils soupent galamment 
Avec de l’eau, du millet, et du gland; 
Le repas fait, ils dorment sur la dure: 
Voilà l’état de la pure nature.
Mein lieber Adam, guter Vater, was
Tatst du im Garten Eden, Leckermaul?
Zu lieb der dummen Menschheit warst nicht faul? 
Mit Mutter Eva kostest du im Gras? 
Indes gebt zu, die Nägel von euch zwein, 
Sie waren lang, ein wenig schwarz, nicht rein; 
nicht eben wohlgeordnet euer Haar, 
Sonnenverbrannt die Haut und ledern war.
Wie glücklich auch die Neigung – wo’s gebricht 
An Reinlichkeit, ist’s Notdurft, Liebe nicht. 
Des schönen Spieles müde ohne Frage, 
Soupieren unter Eichen sie galant, 
Wo Wasser, Hirse sich zu Eicheln fand; 
Dann schlummern sie am Boden sonder Klage: 
Dies eben ist Natur im Urzustand. 
Or maintenant voulez-vous, mes amis, 
Savoir un peu, dans nos jours tant maudits
Soit à Paris, soit dans Londre, ou dans Rome,
Quel est le train des jours d’un honnête homme?
Entrez chez lui: la foule des beaux-arts, 
Enfants du goût, se montre à vos regards.
De mille mains l’éclatante industrie 
De ces dehors orna la symétrie. 
L’heureux pinceau, le superbe dessin 
Du doux Corrége et du savant Poussin
Sont encadrés dans l’or d’une bordure;
C’est Bouchardonqui fit cette figure,
Et cet argent fut poli par Germain. 
Des Gobelins l’aiguille et la teinture 
Dans ces tapis surpassent la peinture.
Tous ces objets sont vingt fois répétés
Dans des trumeaux tout brillants de clartés. 
De ce salon je vois par la fenêtre, 
Dans des jardins, des myrtes en berceaux;
Je vois jaillir les bondissantes eaux.  
Mais du logis j’entends sortir le maître: 
Un char commode, avec grâces orné,
Par deux chevaux rapidement traîné,  
Paraît aux yeux une maison roulante, 
Moitié dorée, et moitié transparente: 
Nonchalamment je l’y vois promené; 
De deux ressorts la liante souplesse  
Sur le pavé le porte avec mollesse.  
Soll ich euch aber nun, ihr Freunde, sagen,
Wie sich’s in unsern oft verwünschten Tagen
Für einen Ehrenmann gewöhnlich lebet,
Sei’s in Paris, in Rom, in London? Gebet
Die Ehre ihm und tretet in sein Haus:
Der Reichtum schöner Künste füllt es aus;
Die der Geschmack gezeugt. Seine vier Wände
Schmückt der Gewerbefleiß von tausend Händen.
Was ein Correggio schuf, was hochgelehrt
Poussin entwarf, ein goldner Rahmen Iehrt.
Von Bouchardon stammt dieses Standbild hier 
Und von Germain des Silbers Glanz und Zier.
Und mehr als manchen Malers Arbeit wert
Sind Farbe, Zeichnung dieser Teppichpracht,
Im Haus der Gobelins hervorgebracht.
Dies alles leuchtet, funkelt viele Male
Aus klaren Pfeilerspiegeln rings im Saale.
Schau ich durchs -Fenster, seh ich Gärten prangen,
Es schatten Myrtenlauben, Wasser springen.
Ich höre ein Geräusch ans Ohr mir dringen:
Der Hausherr ist soeben ausgegangen.
Zwei Pferde ziehn in schnellem Trab den Wagen,
Der schön geziert, bequem, ich möchte sagen:
Er scheint ein Haus auf Rädern, halb aus Glas,
Vergoldet halb. Es sitzt sich gut darin,
Weich rollt er über hartes Pflaster hin;
Zwei Federn, die geschmeidig, biegsam tragen
Die prächtige Karosse, wirken das.
Il court au bain: les parfums les plus doux  
Rendent sa peau plus fraîche et plus polie 
Le plaisir presse; il vole au rendez-vous  
Chez Camargo, chez Gaussin chez Julie;  
Il est comblé d’amour et de faveurs 
Il faut se rendre à ce palais magique 
Où les beaux vers, la danse, la musique,  
L’art de tromper les yeux par les couleurs,  
L’art plus heureux de séduire les coeurs,  
De cent plaisirs font un plaisir unique.
Er eilt ins Bad: duftende Wasser geben
Mehr Frische seiner Haut. Nun drängt es ihn
Zum Stelldichein: zu Julie fliegt er eben,
Zu der Gaussin und zur Camargo hin.
Liebe und Kunstbeweis verwöhnen ihn
Nun heißt’s, in jenes Zauberschloß sich wenden,
Wo schöne Verse, Tanz, Musik, die Kunst
Des Farbentrugs zum Ganzen sich vollenden
Mit jener bessern: aller Herzen Gunst
Durch edle Schmeichelei sich zuzuwenden.
Il va siffler quelque opéra nouveau 
Ou, malgré lui, court admirer Rameau.  
Allons souper. Que ces brillants services,  
Que ces ragoûts ont pour moi de délices!  
Qu’un cuisinier est un mortel divin!  
Chloris, Églé, me versent de leur main  
D’un vin d’Aï dont la mousse pressée 
De la bouteille avec force élancée,  
Comme un éclair fait voler le bouchon;  
Il part, on rit; il frappe le plafond.  
De ce vin frais l’écume pétillante  
De nos Français est l’image brillante.  
Le lendemain donne d’autres désirs,  
D’autres soupers, et de nouveaux plaisirs.
Dort pfeift er eine neue Oper aus,
Zollt, ob er schon nicht will, Rameau Applaus.
Dann zum Souper. Welch köstliche Ragouts
Auf blinkendem Geschirr: ein Hochgenuß!
Ein Sterblicher, der göttlich, ist der Koch!
Chloris, Aglaia schenken lächelnd ein;
Soeben hielt den Wein der Pfropfen noch,
Jetzt schäumt Champagner ihm ins Glas hinein.
Seht, Freunde, wie ein Blitz der Pfropfen schießt
Zur Decke auf, und alles lacht, genießt.
Es perlt, es schäumt im Glas der kühle Wein:
Recht ein Franzose scheint er mir zu sein.
Und neue Wünsche bringt der Tag darauf,
Neue Soupers und neue Freuden auf.
Or maintenant, monsieur du Télémaque
Vantez-nous bien votre petite Ithaque,  
Votre Salente, et vos murs malheureux,  
Où vos Crétois, tristement vertueux,  
Pauvres d’effet, et riches d’abstinence,  
Manquent de tout pour avoir l’abondance:  
J’admire fort votre style flatteur,  
Et votre prose, encore qu’un peu traînante;  
Mais, mon ami, je consens de grand coeur  
D’être fessé dans vos murs de Salente,  
Si je vais là pour chercher mon bonheur.  
Et vous, jardin de ce premier bonhomme,  
Jardin fameux par le diable et la pomme 
C’est bien en vain que, par l’orgueil séduits,  
Huet, Calmet, dans leur savante audace,  
Du paradis ont recherché la place:  
Le paradis terrestre est où je suis.
Nun, werter Herr, der Telemach erschuf,
Preist Euer kleines Ithaka, den Ruf
Salentos mehrt und jener tristen Mauern, 
Wo Eure tugendreichen Kreter trauern.
Ihr Schwelgen im Verzicht beeindruckt schwerlich:
Sie leiden Mangel ums Die-Fülle-Haben.
Euern gefälligen Stil bewundere ich ehrlich,
Selbst Eurer Prosa zögerliches Traben;
Doch, guter Freund, in eines wi1lige ich:
Verprügeln soll man ohne weitres mich
Dort in Salento, wäre ich so dumm
Und säh mich da nach meinem Glücke um.
Du aber, unsrer ersten Eltern Garten, 
WoApfelbaum und Schlange jene narrten:
Vergebens haben hochgelehrte Leute
Wie Huet und Calmet, vom Stolz verführt,
Dem Ort des Paradieses nachgespürt:
Im Paradies auf Erden leb ich heute.

Kritiker und die Verteidigung des Luxus

Schnell erschienen etliche Gegenschriften, lanciert von klerikalen oder literarischen Gegnern wie die von Priron (L’Anti-Mondain‘), Voltaires begabtem Erzrivalen. Doch Voltaire war schließlich nicht auf den Mund gefallen und verfasste sogleich seine ‚Verteidigung des Mondain’, dessen Anfang hier erstmals in deutscher Sprache wiedergeben wird:

LA DÉFENSE DU MONDAIN POUR RÉPONDRE
AUX CRITIQUES QU’ON AVAIT FAITES DU MONDAIN.

La défense du Mondain

A table hier, par un triste hasard,
J’étais assis près d’un maître cafard,
Lequel me dit: « Vous avez bien la mine
D’aller un jour échauffer la cuisine
De Lucifer;et moi, prédestiné,
Je rirai bien quand vous serez damné
Damné! comment? pourquoi? – Pour vos folies.
Vous avez dit en vos oeuvres non pies,
Dans certain conte en rimes barbouillé,
Qu’au paradis Adam était mouillé Lorsqu’il pleuvait sur notre premier père;
Qu’Ève avec lui buvait de belle eau claire;
Qu’ils avaient même, avant d’être déchus,
La peau tannée et les ongles crochus.
Vous avancez, dans votre folle ivresse,
Prêchant le luxe, et vantant la mollesse,
Qu’il vaut bien mieux (ô blasphèmes maudits!)
Vivre à présent qu’avoir vécu jadis. Par quoi, mon fils, votre muse pollue
Sera rôtie, et c’est chose conclue. »
Disant ces mots, son gosier altéré
humait un vin qui, d’ambre coloré,
Sentait encor la grappe parfumée
Dont fut pour nous la liqueur exprimée.
Un rouge vif enluminait son teint.
Lors je lui dis: « Pour Dieu, monsieur le saint,
Quel est ce vin? d’où vient-il, je vous prie?
D’où l’avez-vous? Il vient de Canarie;
C’est un nectar, un breuvage d’élu:
Dieu nous le donne, et Dieu veut qu’il soit bu.
Et ce café, dont après cinq services
Votre estomac goûte encor les délices?
Par le Seigneur il me fut destiné.
Bon : mais avant que Dieu vous l’ait donné,
Ne faut-il pas que l’humaine industrie
L’aille ravir aux champs de l’Arabie?

Die Verteidigung des Luxus

Gestern zu Tisch, durch einen traurigen Zufall
kam ich neben einem Oberfrömmler zu sitzen,
welcher zu mir sprach: Sie machen mir ganz den Eindruck,
eines Tages in der Küche Luzifers verheizt zu werden
und ich als Auserwählter.
werde lachen, wenn sie verdammt sein werden
– Verdammt? Wie? Weshalb? – Für ihre Narrheiten.
Sie haben in ihren unfrommen Werken gesagt
in irgendeiner schlecht gereimten Erzählung,
dass Adam im Paradies nass wurde, als
es auf unseren ersten Vater herunterregnete,
dass Eva mit ihm gutes klares Wasser trank
dass sie sogar, bevor sie vertrieben wurden,
gegerbte Haut und gebogene Nägel hätten
Sie gehen soweit, in Ihrer verrückten Trunkenheit
Luxus zu predigen und die Weichheit zu loben,
daß es besser sei (Oh verdammte Gotteslästerung!),
heute zu leben, als damals gelebt zu haben.
Deshalb mein Sohn, wird ihre unreine Kunst
geröstet werden, das ist beschlossene Sache
Als er so sprach, benetzte seine trockene Kehle
ein bernsteinfarbener Wein,
der noch nach dem Duft der Traube roch,
aus der für uns der Nektar gepresst wurde.
Ein lebhaftes Rot belebte seinen Teint.
Da sagte ich ihm:        „Bei Gott, Herr Heiliger,
Welcher Wein!, woher kommt der bitte sehr?
Wo haben sie ihn her? – Er kommt von Canarie
es ist eine Nektar, ein auserlesener Tropfen.
Gott gab ihn uns, Gott will, dass er getrunken werde,
— und dieser Café, von dessen Erlesenheit
auch nach fünf Gängen Euren Magen noch gelüstet?
– Vom Herrgott wurde er mir zugedacht
– Gut, aber bevor Gott ihn Euch geben konnte,
musste ihn da nicht menschliche Tätigkeit
den Feldern Arabiens entlocken?

Luxus ist für Voltaire untrennbar verbunden mit Lebensfreude, sinnlichem Genuß und bedeutet nicht den Luxus derjenigen, die ihn als Staussymbol gebrauchen, ohne irgendeinen anderen Gefallen daran zu haben, als sich am Neid ihrer Zeitgenossen zu erfreuen. Luxus ist für Voltaire ein Synonym für ‚zivilisierte Lebensfreude‘ und enthält darüber hinaus das Modell einer Gesellschaft, die nach der Aufklärungsmaxime: ‚das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl‘ gestaltet wäre. Zwar gibt es Lebensfreude auch ohne Zivilisation, ohne Kultur, pure Triebbefriedigung, auch sie soll man nicht verdammen, eine humane Gesellschaft steht ihr keinesfalls negativ gegenüber, sie will sie aber veredeln, verfeinern und kultivieren. Wie aktuell diese Konzeption bis heute ist, wird deutlich, wenn man sie mit den Verzichtsdebatten unseres beginnenden 21. Jahrhundert konfrontiert, wo fast jeder Genuß unter das Verdikt der Gesundheits-, Umwelt- oder Resourcenbelastung gestellt wird. Zieht man nur etwa die düstere Antiraucherkampagne als Beispiel heran, hätte ein an Voltaire orientiertes Verfahren zuallererst die Frage zu beantworten, wie der Lebensgenuß all der Raucherfreunde zu schützen wäre, ohne dabei das Verlangen anderer nach rauchfreien Zonen zu vernachlässigen. Gesellschaftlich schützenswert stünde dabei die Freude am Rauchen gleichbereichtigt neben der Begeisterung für Reinräume unter Nichtrauchern. Es ist sehr zu bedauern, wie sich in solchen Debatten ein seltsames Verständnis von Aufklärung in den Vordergrund schiebt und unter dem Vorwand der Sorge um Volksgesundheit, Kinderschutz, Gesundheitskassen und ihren Kosten das Ziel einer humanen und lebenswerten Gesellschaft zu Grabe getragen wird.

Voltaire ist immer wieder auf das Thema Luxus zurückgekommen, etwa in seinem berühmten Candide, wo er im glücklichen Eldorado die Segnungen des absoluten Luxus vorstellt. und er hat den Luxus zeitlebens – so etwa gegen das ‘Zurück zur Natur’ J. J. Rousseaus – verteidigt, auf dessen Schrift ‚Discours sur l’origine de l’inégalité parmi des hommes’ er am 30. August 1755 brieflich betont polemisch reagierte: “On n’a jamais employé tant d’esprit à vouloir nous rendre bêtes; il prend envie de marcher à quatre pattes quand on lit votre ouvrage.“ und das heißt ungefähr: Man hat noch nie so viel Geist aufgeboten, um uns schweinedumm zu machen, und man hat nicht übel Lust, auf allen Vieren zu laufen, wenn man ihr Werk liest“. Rousseau sollte es ihm nie verzeihen.

Anhang:

Voltaire an Cideville am 5. August 1736: (Pierre Robert Cornier de Cideville lebte fast zeitgleich mit Voltaire von 1693 bis 1776 und war sein Klassenkamerad im Pariser Gymnasium Louis le Grand, Poet und später Mitbegründer der Akademie von Rouen), man sieht: ‚Le Mondain‘ wurde von Hand zu Hand weitergericht, eine Veröffentlichung war erst neun Jahre später möglich, versteckt in seiner Werkausgabe bei Ledet in Amsterdam im Jahr 1745.

A M. DE CIDEVILLE.

A Cirey, ce 5 août.

Mon cher ami, on vous a envoyé le Mondain j’envoie une ode à M. de Formont. M. de Formont vous donnera l’ode, et vous lui donnerez le Mondain. Vous voyez, mon aimable Cideville, qu’on fait ce qu’on peut pour vous amuser; tenez-m’en compte, car je suis entre Newton et Émilie. Ce sont deux grands hommes, mais Émilie est bien au-dessus de l’autre. Newton ne savait pas plaire. Vous, qui entendez si bien ce métier-là, comptez que vous devriez venir à Cirey; nous quitterions pour vous les triangles et les courbes, nous ferions des vers, nous parlerions d’Horace, de Tibulle et de vous. V.        

An HerrnM. DE CIDEVILLE.

Zu Cirey, am 5 August

Mein lieber Freund, man hat Ihnen ‘Le Mondain’ zukommen lassen, ich schicke eine Ode an Monsieur de Formont. M.de Formont wird Ihnen diese Ode geben und Sie werden ihm Le Mondain übergeben. Sie sehen, mein lieber Cideville, man tut was man kann um Euch zu amüsieren, rechnen Sie mir das hoch an, denn ich befinde mich zwischen Newton und Emilie. Das sind zwei große Menschen, aber Emilie ist dem anderen deutlich über, Newton wusste nicht zu gefallen. Sie, der Sie dieses Metier so gut beherrschen, rechnen Sie damit, dass Sie nach Cirey kommen müssen, wir werden für Sie die Geodreiecke und die Krümmungsmesser verlassen und wir werden Verse machen, wir werden über Horaz sprechen, von Tibulle und von Ihnen. V.

Literatur:

– Werner Krauss, Cartaud de la Villate, Berlin:Akademie 1960  2 Bd. 230,327S.

– Voltaire, Ein Lesebuch für unser Zeit, herausgegeben von Martin Fontius, Berlin: Aufbau, 1989

– Oeuvres complètes de Voltaire herausgegeben von P. de la Beaumarchais, 70 vols., Kehl: De l’Imprimerie de la Societe Litteraire Typographique, 1784-1789.

– Oeuvres complètes de Voltaire, herausgegeben von Louis Moland, 52 vols, Paris 1877-1885.