Peter Priskil, Die Karmaten oder: Was arabische Kaufleute und Handwerker schon vor über 1000 Jahren wussten: RELIGION MUSS NICHT SEIN, Ahriman Verlag 2010 (2. erweiterte Auflage), 410 S.

Priskil Karmaten

In: Unerwünschte Bücher zur Kirche- und Religionsgeschichte Nr.10, Freiburg: Ahriman Verlag 2010 (2.Auflage), 410 S.
Wenige nur kennen die Karmaten, ein Volk, das vor über 1000 Jahren die erste religionsfreie Gesellschaft der Geschichte auf dieser Kulturstufe aufgebaut hat und deshalb – die islamistischen und christlichen Kirchen haben das ihnen mögliche dafür getan -, nahezu in Vergessenheit geraten ist. Seine Geschichte steht im Mittelpunkt dieses Buches, das über ihre außerhalb von Fachkreisen völlig unbekannte Gesellschaft berichtet, die das Ziel der philosophes um Voltaire, die Befreiung von den anmaßenden und gewalttätigen Organisationen der Kirchen, immerhin 100 Jahre lang in die Praxis umgesetzt hat. Schon allein aus diesem Grund ist dieses Werk für jeden, der in der Tradition Voltaires steht, von besonderem Interesse.

Daß die Verwirklichung und Verteidigung der Freiheit nicht ohne Gefahr, nicht ohne massive Gegenwehr der autoritären ‚Regime’, Potentaten, Machtinhaber, und nicht ohne die Bildung einer schlagkräftigen Organisation gelingen kann, wusste Voltaire, der immer wieder von der Armee der 100.000 Mann sprach, die man haben müsste, durchaus – er hatte sie nicht zu seiner Verfügung. Hätte er aber die Geschichte seiner Vorläufer, der Karmaten, gekannt, so hätte ihm das manch bittere Illusion ersparen können und ihm außerdem vor Augen führen können, wie gut eine Gesellschaft ohne Religion existieren kann, ein viel diskutiertes Thema zu seiner Zeit.

Der Autor Peter Priskil ist Historiker, was sich besonders an seiner Behandlung von Quellenmaterial äußerst positiv bemerkbar macht: er berichtet nicht nur von einer interessanten und bewundernswerten Leistung aus einer längst vergangenen Zeit, sondern zeigt, auf welche Quellen sich ein Bericht stützt, bringt dem Leser nahe, wie man sie auswertet und wie man zwischen den Zeilen liest. Dabei ist sein Text niemals langweilig – was nicht bedeutet, daß es sich um eine leichte Kost handelt -, zumindest muß man die Bereitschaft mitbringen, sich auf eine ganz andere Zeit, eine andere Kultur einzulassen.

Auf Voltaire kommt der Autor im Zusammenhang mit der Schrift ‚De tribus impostoribus’ (Von den drei Betrügern), die er vorstellt (Moses, Christus und Mohammed haben die Eingebungen eines Gottes um persönlicher Vorteile willen nur erfunden) und im Anhang abdruckt, direkt zu sprechen (S.120): „Voltaire, der sich bleibende Verdienste um die Aufklärung erworben hat, war nach der Lektüre der Betrügerschrift so aufgebracht – sie passte nicht in sein deistisches Konzept eines zurückgezogenen, gleichsam im Rentnerstatus lebenden Gottes -, daß er den fatalen Satz prägt: Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden“. Mit dieser Behauptung liegt Priskil leider sehr daneben, er stützt sich dabei offenbar auf das „Épitre à l’auteur du livre des trois imposteurs“, das Voltaire aber geschrieben hat, um sich von dem Verdacht zu befreien, er sei der Verfasser der in Frankreich 1768 erschienen Betrüger-Schrift. Man stößt im umfangreichen Werk Voltaires immer wieder auf ähnliche taktische Distanzierungen, oft in drastischen Worten sogar von seinen eigenen Schriften und es ist gerade an diesem Punkt nicht immer ganz einfach, aber auch nicht unmöglich, herauszufinden, welche Haltung er tatsächlich hatte*) . Es steht aber außer Frage, daß Voltaire ein Anhänger der Betrügertheorie war und damit der Position, wie sie in ‚De tribus impostoribus’ vertreten wird – wie sollte er über diese Schrift aufgebracht gewesen sein?

Interessanter wäre es gewesen, auf Voltaires Einstellung zum sogenannten Alten vom Berge und seinen Truppen einzugehen, die er ablehnend (im Artikel Fanatisme, Dictionnaire Philosophique) als Fanatiker bezeichnet, weil sie bereit waren, für ihre Religion zu töten und dabei glaubten, einem ‚höheren’ Ziel zu folgen – eine Wertung, die der Einschätzung Priskils diametral entgegensteht.

Das Besondere an Die Karmaten ist, wie Priskil immer wieder Beziehungen zwischen den Kämpfen der Karmaten für ihre Unabhängigkeit und denen anderer Freiheitskämpfe herstellt, so zu der russischen Revolution und der Partei Lenins, oder zur kläglichen Kapitulation der Sowjetunion, wenn er über die Art und Weise, wie das Karmatenreich untergegangen ist, berichtet. Gerade durch diese Bezüge wird die Geschichte der Karmaten lebendig, identifiziert man sich mit den leitenden Personen und wird durch Analogien zum Nachzudenken angeregt. Das Werk ist so selbst ein exemplarisches Dokument der Aufklärung, Priskil zeigt, wie man Geschichtsbücher in einer Tradition, die Voltaire mit seinem Versuch über die Sitten und Gebräuche der Nationen begründet hat, heute schreiben sollte. Ist schon jeder einzelne Punkt Grund genug, dieses Buch zu lesen, sind sie zusammen genommen mehr als eine Empfehlung. Die Karmaten sollte Pflichtlektüre für alle sein, die sich dem ‚Ecrasez l’Infâme’ von Voltaire verpflichtet fühlen.

Rainer Neuhaus, Februar 2014


*) Wir werden das Thema an anderer Stelle unter dem Titel: „Unter dem Henkerbeil schreiben: Strategie und Taktik der Aufklärung angesichts zunehmender Verfolgung “ behandeln.