Volker Reinhardt, Voltaire, eine Biographie, Rezension (5.3): Am Hof des Kriegerkönigs

Eine der verwickeltsten Affären in Voltaires Berliner Zeit war sicherlich die Auseinandersetzung mit Maupertuis, einem bedeutenden Naturwissenschaftler, den Friedrich II zu seinem mit nahezu unbeschränkten Befugnissen ausgestatteten Präsidenten der preußische Akademie der Wissenschaften berufen hatte. Diese Geschichte kann nicht verstehen, wer die Person Maupertuis‘ und die Gepflogenheiten nicht kennt, die dieser, leider dem Alkohol anheimgefallene Despot an den Tag legte. René Pomeau entwickelt diese Dinge in seiner Biographie mustergültig, nicht jedoch Reinhardt, dem irgendwie der Platz dafür auszugehen scheint. Weil er aber die Vorgeschichte nicht bringt, hängt bei ihm Voltaires Verdacht, dass eine Intrige gegen ihn im Gang sei, in der Luft und erscheint dem Leser als Ausdruck einer charakterlichen Schwäche Voltaires. Es ist hier, wie überall: wer die Fakten einer Auseinandersetzung nicht bringt, kann die Handlungen jedes noch so berechtigten Verteidigers stets in ein schlechtes Licht rücken. Reinhardt benutzt Voltaires Auseinandersetzung mit Maupertuis, um jenem ein ehrenhaftes Verhalten ganz und gar abzusprechen. Die Kampfschrift Voltaires, Akakia, mit der er dem schwächeren Part, eben Samuel König, den Rücken stärkte, bewertet Reinhardt als „bösartige Satire“, als „maliziöse Zusammenstellung“, als „systematische Rufvernichtung“ (325 f), während sie Théodore Besterman als Voltaires „geistreichste und beißendste“ Satire bezeichnet.

Die Biographie wendet sich schließlich dem Sermon des cinquante zu, einem zentralen religionskritischen Text Voltaires. Reinhardt skizziert dessen Inhalt korrekt, jedoch so, dass sich kein Leser, nachdem er das Buch zur Seite gelegt hat, jemals wieder an dieses Werk erinnern wird. Was daran liegt, dass Reinhardt so hastig und eilig darüber hinweggeht, zum anderen, sicherlich von größerer Bedeutung, nicht das Geringste über die Macht der Kirche zu Voltaires Zeit, die wieder einsetzende Hugenottenverfolgung, die Situation der Kirche in Preußen und die Debatten am Hof Friedrichs II zu diesem Thema berichtet. Dadurch wird selbst die Tatsache, dass sich Voltaire zeitlebens nicht als Autor des Sermon zu erkennen geben durfte, zu einer unbedeutenden Bagatelle heruntergestuft, ungeeignet in welchem Leser auch immer, ein Unrechtsempfinden auszulösen.
Ganz anders, wenn sich Reinhardt Voltaires bedeutendem Werk über Ludwig XIV widmet. Mit großem Elan stellt er es als „intellektuelles Großereignis“, als Beginn einer „neuen Epoche der europäischen Historiographie“ vor. Nun ist Reinhardt Historiker und es ist durchaus verständlich, dass er sich für das Zeitalter Ludwig XIV erwärmt und mit einem großen Lob abschließt: „Niemals zuvor oder danach wurde Geschichte so elegant, so geistreich und zugleich so fesselnd vergegenwärtigt“(347).
Zum Abschluss dieses Kapitels wird eilig die Geschichte von Voltaires Abreise aus Berlin geschildert, die in Wirklichkeit eine Flucht war und in der Inhaftierung Voltaires in Frankfurt mündete. Sie wird von Reinhardt, seltsam genug, als Tour d’Allemagne, als Deutschlandreise, bezeichnet. Man bedenke: ein Schriftsteller trotzt einem mächtigen König, hält dem Verfolgungsdruck stand – welch bedeutendes Fanal für eine zukünftige Gesellschaft der Gleichen! Wie Voltaire dies gelingen konnte, bleibt bei Reinhardt vollkommen unverständlich – eine ausführlichere Beschäftigung mit dem Aufenthalt am Gothaer Hof bei Louise Dorothea hätte ihm helfen können, das Unterstützungssystem Voltaires zu verstehen. So müssen die Hintergründe dieses sensationellen Erfolges Voltaires angesichts der Verfolgung durch einen mächtigen absolutistischen König ebenso nebulös erscheinen, wie auch die Gründe seiner Anreise am Anfang des Kapitels schon als „rätselhaft“ bezeichnet worden waren.