Voltaire und Michel Servet, am 27.10.1553 auf Befehl Calvins lebendig verbrannt

An etlichen Stellen seines Werkes und in seiner Korrespondenz bezieht sich Voltaire auf den Ketzerprozess gegen Michel Servet, den der fanatische Calvin 1553 gegen Servet veranstalten ließ. Die grausame und unmenschliche Art der Hinrichtung Servets war für Voltaire eine unfassbare Greueltat. Er bringt das in dem Entrüstungsschrei eines zur Hälfte verbrannten Gespenstes zum Ausdruck, mit dem es Calvin schuldig spricht: „Monster, abscheuliches Monster, erzittere! erkenne in mir Servet, den du durch die grausamste aller Hinrichtungen vernichten ließt, nur weil er gegen dich die Ansicht vertrat, dass drei Personen nicht ein und dieselbe sein können“ (Artikel Dogmes‚, Dictionnaire Philosophique 1765 V).
Auch widmet er Servet, dem Opfer des religiösen Hasses Calvins, ein eigenes Kapitel in seiner Geschichte der Sitten der Nationen (Kap. 134: Servet und Calvin). In Genf, wo Voltaire von 1755 – 1760 wohnte, hat er sich mit der Erinnerung an diesen Fall religiösen Fanatismus keine Freunde gemacht.

(siehe dazu ausführlicher (pdf in frz. Sprache): Le supplice de Servet : Voltaire historien et les droits de la personne von James Forsythe MacLean, 1991 in: Man and Nature / L’homme et la nature, 10, 113–120 )

Wer war Michel Servet?

Spanischer Arzt und Theologe, geboren am  29. September 1511 in Villanueva de Sijena, gestorben auf dem Scheiterhaufen in Genf am 27.10.1553.

Servet betrieb als Mediziner bedeutende anatomische Studien. Als Erster entdeckte er, dass die Sauerstoffanreicherung des Blutes in der Lunge stattfindet und nicht im Herzen selbst. Trotz seiner naturwissenschaftlichen Fähigkeiten war er vor allem Theologe, der in seinem 1531 in Hagenau bei Straßburg erschienenen Werk »De Trinitatis erroribus libri septem« die Dreieinigkeitslehre der christlichen Kirchen ablehnt. In Frankreich deshalb am 17.6.1553 erstmals zum Tode verurteilt, floh Servet nach Genf, um dort Schutz zu suchen. Doch Calvin kannte keine Gnade. Am 27.10.1553 erging das Todesurteil:

»in dem Wunsch, die Kirche Gottes von solcher Ansteckung zu reinigen und von ihr dieses verfaulte Glied abzuschneiden..im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes… gebunden zu werden und an den Ort Champel geführt zu werden, und ebendort an einen Pfahl gebunden und lebendig verbrannt zu werden, zusammen mit deinem von deiner Hand geschriebenen und dem gedruckten Buch, solange bis dein Körper in Asche verwandelt ist.« 

Michel Servet wird am selben Tag in Genf buchstäblich zu Tode geröstet.

Zur Geschichte der Errichtung des Gedenksteins gibt es einen interessanten Artikel in wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Servetus-Gedenkstein. Die Gedenkstätte in Genf mit der fragwürdigen Inschrift (Photo aus der sehenswerten Hugenottenausstellung im französischen Dom, Berlin) liegt dort, wo die Avenue de la Roseraie in die Avenue de Beau-Séjour mündet – es ist die Stelle, an der man Servet zu Tode geröstet hat.

Eine ausführliche, nicht theologisch inspirierte Biographie Servets  findet man (spanisch) bei Gener, Pompeyo, Servet Filosofo, Maucci Hermanos., 1911. Das 2013 erschienene Büchlein von Uwe Birnstein „Toleranz und Scheiterhaufen“ ist eher eine theologische Meditation über den Fall Servet, die um die Aufklärung eine riesigen Bogen macht. Im Biographischen-Bibliographischen Kirchenlexikon, das Voltaire als katholischen französischen Aufklärer einführt, ist noch einiges von der Bösartigkeit des 16. Jahrhunderts in Genf zu spüren, wenn man vom Autor Helmut Feld über Michel Servet liest:

„Zweifellos gehört er zu den großen Märtyrern, die für ihre persönliche Gewissensüberzeugung in den Tod gingen. Geschichtlich und moralisch gesehen richtet sich das Todesurteil von Genf (und natürlich auch das von Vienne!) nicht gegen ihn, sondern gegen weltliche und kirchliche Amtsträger, Richter und Theologen, die an seiner Auslöschung entweder in grausamen und eindeutigen oder in heuchlerischen und zweideutigen Formulierungen beteiligt waren. Seine aus dem Gefängnis in zierlicher, deutlicher Schrift geschriebenen Briefe, deren Originale im Staatsarchiv von Genf erhalten sind, kann man auch heute nicht ohne Bewegung lesen (»Die Flöhe fressen mich bei lebendigem Leibe«; »Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit!«). Durch Errichtung von Denkmälern an seiner Hinrichtungsstätte in Genf (1903), in Annemasse (1908) und in Vienne (1912) hat man eine posthume Wiedergutmachung versucht. Wichtiger wäre eine eingehende historisch-psychologische Untersuchung der Persönlichkeit S.s, die noch aussteht. Zweifellos ist er als Kranker, körperlich und psychisch schwer Verletzter durchs Leben gegangen.“

Lieber Herr Feld, was gibt es Wichtigeres, als die Errichtung von Denkmälern, die an die Schandtaten Ihrer Kirche erinnern? Lieber Herr Feld, wie konnte Ihr gelehrter Kopf zum Urteil kommen, das Todesurteil richte sich nicht gegen Servet, sondern eigentlich gegen die Täter? In welcher moralischen Hinsicht, in welcher geschichtlichen? Sie haben wohl sagen wollen, das Todesurteil sei für die Täter in geschichtlicher und moralischer Hinsicht eine Schande und gar nicht für Servet, nur, das hätten Sie sich auch sparen können, denn bei gutartiger Gesinnung würde man etwas anderes wohl kaum in Erwägung ziehen, oder wollten Sie damit der sympathischen Meinung Ausdruck verleihen, dass das Todesurteil eigentlich die Vertreter der aufgeführten Gruppen hätte treffen sollen?